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Kultur: Verteidigung der Weißglut

Ein Lob auf Ulrich Matthes

Heute erhält Ulrich Matthes mit dem GertrudEysoldt-Preis eine der renommiertesten Auszeichnungen für Theaterschauspieler. Die Jury wählte den 45-Jährigen für seine Rolle als George in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ am Deutschen Theater Berlin. Matthes ist dort Ensemblemitglied und auch als Major von Tellheim in „Minna von Barnhelm“ zu sehen. (d.Red.)

Im Theater gibt es ein böses Schimpfwort, das vom „denkenden Schauspieler“, vom Grübler und Diskutierer, dem Schauspieler, der redet, statt zu probieren. Das ist, versteht sich, der Ulrich Matthes nicht. Sondern einer, der sich das Denken nie verbietet und verbieten lässt. Und sich und die anderen, wenn es sein muss, zur Weißglut treibt.

Zu Recht bewundern die Fans (die gibt es, und man darf sie getrost so nennen) die Klugheit und Eleganz und Klarheit, die den Sprecher, den Leser und Vorleser auszeichnen, bei Texten von Thomas Bernhard oder Kleist: die Verfertigung der Gedanken beim Reden. Das sind erhellende Abenteuerreisen, voller Überraschungen und Entdeckungen, ganz einfach, ganz kompliziert. Ein Mensch allein mit dem Text und dem Publikum, die äußerste Konzentration – und Faszination.

Dafür kriegt er aber nicht den Eysoldt-Preis. Er kriegt ihn für den George in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ in Jürgen Goschs Inszenierung am Deutschen Theater, und manchen, der schon alles zu kennen meint, verblüfft die emotionale Gewalt, die von dieser Figur ausgeht. Matthes liebt und sucht die Extreme. Es wäre ja leicht, den Verlierer zu spielen, den notorisch unterdrückten Ehemann und Karrierefeigling, aber das wäre auch langweilig. George schlägt zu, schlägt zurück, mit brutalem Humor, eigensinnig und heftig, unangenehm, erbärmlich, verzweifelt, verletzlich. Das hat Kämpfe gekostet. Matthes entschuldigt sich nicht, wenn er bei den Proben, circa zweimal täglich, seinen „Afrikanischen“ bekommt. Doch, er entschuldigt sich, es geht halt nicht anders. Weißglut ist die Temperatur, die das Stück braucht, und Matthes wäre nicht der große Schauspieler, für den auch der Intendant ihn hält, wenn der Rationalist nicht zugleich verrückt wäre (und ein angenehmer Mensch und Kollege etc. etc.)

Als ich ihn vor 20 Jahren in München traf – er gehörte zum Ensemble der Kammerspiele, ich leitete die Falckenberg- Schauspielschule –, wollte ich immer von ihm wissen, welchen Zögling er für begabt oder gefährdet hielt. Er kann verdammt gut gucken und beschreiben, was er sieht. Jetzt reden wir uns die Köpfe darüber heiß, welche Rolle er als nächste spielt. Das geht wunderbar, und nie trübt es (kommt mir vor) die alte Freundschaft.

Der Autor ist Intendant des Deutschen Theaters.

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