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In Nina LaCours Roman „Alles okay“ flüchtet eine junge Frau ans College und sucht ihren Weg.

© Cover: promo

„Alles okay“ von Nina LaCours: Verwundete Herzen

Hundert Jahre Einsamkeit müssen nicht sein: Nina LaCours bewegender Roman über den Umgang mit persönlichen Verlusten.

Eine der schönsten Szenen dieses an schönen Szenen sowieso reichen Romans der amerikanischen Autorin Nina LaCour dreht sich um ein berühmtes Bild der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, „Die zwei Fridas“. Darüber unterhalten sich eines Abends die Hauptfiguren, die Ich-Erzählerin Marin und ihre beste Freundin Mabel, als sie in den Weihnachtsferien in Marins Wohnheimzimmer sitzen, auf dem ansonsten leeren Campusgelände einer Universität in Dutchess County, Upstate New York.

Sie überlegen, was Kahlo mit den zwei nebeneinandersitzenden Versionen ihrer selbst sagen wollte? Mit den jeweils offenen Herzen, die man sehen kann, die durch eine Linie miteinander verbunden sind, der Schere auf dem Schoß der einen, dem (sehr kleinen) Porträt ihres Mannes Diego Riviera auf dem der anderen?

Kahlo hat das Bild zur Zeit der Scheidung von Riviera gemalt, und Marin überlegt, dass es hier um einen Verlust geht, das Ganze jedoch auch komplexer sein könnte: „Aber vielleicht ist es auch so einfach, wie es scheint. Vorher war sie eins mit sich. Sie hatte ein ganzes Herz und den Mann, den sie liebte. Sie fühlte sich wohl. Und dann ist etwas passiert, das sie verändert hat. Jetzt ist sie verwundet.“

Auch Marin hat einen Verlust erlitten

Mabel fragt dann, ob Marin ihr etwas sagen will, was diese von sich weist. Aber natürlich steht diese Szene nicht einfach nur so in Nina LaCours Roman „Alles okay“ [Aus dem amerikanischen Englisch von Sophie Zeitz. Hanser Verlag, München 2019. 204 Seiten, 16 Euro. Ab 14 Jahren]. Denn auch Marin hat einen Verlust erlitten und ist schnurstracks und, ohne sich von irgendjemand aus ihrem Umfeld zu verabschieden, sofort ans College an die Ostküste geflüchtet.

Ihr Großvater, ihre einzige familiäre Bezugsperson, hat sich im Pazifik das Leben genommen. Verluste haben seine Existenz und das seiner Enkelin in San Francisco bestimmt. Seine Frau starb mit 46; die Tochter, Marins Mutter, auch sehr jung. Marin war drei, als diese draußen auf dem Meer beim Surfen zu Tode kam. Seitdem lebte Marin mit „Gramps“, wie sie ihn nennt, in einer großen Wohnung, in der jeder seinen Bereich hatte, sie sich aber oft sahen: „Wir wussten das Zusammensein zu schätzen, aber das Getrenntsein auch.“ Das klingt abgeklärt aus dem Mund einer 17-, 18-Jährigen; doch wie sich herausstellt, baut dieses Zusammenleben auf einer Lüge auf, verbirgt der Großvater die eigene Trauer.

In einem steten Wechsel lässt Nina LaCour ihre Heldin erzählen, wie sie nun einerseits berichten, mit dem Verlust klarzukommen und auch mit den Geheimnissen des Großvaters. Und wie sie sich andererseits erinnert an ihre Jugend in der Bay Area, an die letzten Monate in der Schule, an die Zeit, in der sie Mabel kennen – und dann auch lieben gelernt hat.

Ein kluger und berührender Roman

Tatsächlich ist „Alles okay“ nicht nur ein Roman über den Umgang mit persönlichen Verlusten, über Trauer, sondern auch über eine erste Liebe, über die Gefühle zweier Mädchen, die kurz vor dem Erwachsenwerden sind. Was zählt im Leben, was bringt eine diffus erscheinende Zukunft? Mal ist der Schauplatz die sonnen- und windüberflutete Westküste, dann die eisig-eingeschneite Ostküste. Mabel versucht ihre Freundin nun kurzerhand zurückzuholen in den Westen, Marin ist (noch) nicht bereit. In „Alles Okay“ stimmen die Dialoge, die inneren Monologe Marins, die Atmosphäre, selbst die literarischen Referenzen an Charlotte Brontés „Jane Eyre“ und Gabriel Garciá Marquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“ wirken nicht aufgesetzt.

Wie sagt es Mabel über die zwei Fridas? Die seien verbunden, „auch wenn sie sich verändert hat, ist sie immer noch derselbe Mensch.“ Und Marin überlegt: „Oder sie sind dabei, sich vollständig zu trennen und halten sich zum Abschied an den Händen, bevor sie endgültig auseinandergehen.“ Dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, das ahnen die Mädchen, dass Einsamkeit das eine ist, das andere die Wege, aus ihr herauszufinden, gerade wenn man jung ist – von all dem erzählt dieser Roman klug und berührend.

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