zum Hauptinhalt
246441_3_xio-fcmsimage-20081222163837-006001-494fb47d4c870.heprodimagesfotos86120081223of_looking.jpeg

© Pete Biagi, courtesy gb agency, Paris

Videokunst: Wortentzug

Der Videokünstler Omer Fast stellt im Kunstverein Hannover aus.

Hilfe, der Fernseher spricht. Er hält eine persönliche Anrede an den Zuschauer: „Du liebst es, dich in der Öffentlichkeit über mich zu beschweren“, motzt das Gerät, „aber an wen wendest du dich beim ersten Anzeichen von Unruhe? Du machst mich krank.“ Der Videokünstler Omer Fast versteht es spitzbübisch, den Illusionsmaschinerien die Masken abzunehmen. Er tut das eher in freundschaft licher Umarmung als in ostentativer Anklage, etwa wenn er die gesamte Geräuschkulisse eines amerikanischen Vororts mit dem Mund synchronisiert. Ein maliziöser Witz zieht sich durch Fasts bemerkenswerte Ausstellung im Kunstverein Hannover.

Mit dem sprechenden Fernseher „CNN Concatenated“ hat der 1972 in Jerusalem geborene Künstler eine besonders originelle Variante des Zappings geschaffen: Er zerteilte Nachrichtensendungen in 10 000 Wörter und entrang den Sprechern völlig neue Texte. Die intime Beziehung zwischen Fernsehbild und Zuschauer steht infrage.

2008 ist das Jahr von Omer Fast. Die Werke des 36-Jährigen waren auf der Liverpool-Biennale zu sehen, auf der Manifesta 7 in Trentino, und auf der Whitney-Biennale erhielt er den Bucksbaum Award. In Berlin, wo Fast lebt, steht sein Name auf der Shortlist für den Preis der Neuen Nationalgalerie für junge Kunst 2009. Die Hannoveraner Ausstellung ist seine erste größere Überblicksschau in Deutschland. Sie war überfällig.

Die sechs gezeigten Werke zeugen vom universalen Anspruch Fasts. „Take a Deep Breath“ behandelt die Verschränkung realer Gewalt und ihrer kulturindustriellen Aufarbeitung, „De Grote Bootschap“ erzählt von Verdächtigungen und Vorurteilen auf dem engen Raum einer Nachbarschaft. Hauptwerk ist die Vier-Kanal-Projektion „The Casting“, für die Omer Fast den Bucksbaum Award bekam. In Tableaux Vivants werden zwei traumatische Erfahrungen eines US-Sergeants bebildert: die amouröse Begegnung mit einem von Selbstverletzung besessenen Mädchen in Bayern und das versehentliche Erschießen eines Zivilisten im Irak. Auch hier wird dem Sprecher mit schnellen Schnitten die Regie entzogen; aus einzelnen Worten entstehen nie gesagte Sätze. Es gibt kein Zentrum, von dem aus die Erzählfragmente ihren Sinn erhalten, keine Wahrheit außerhalb ihrer Abbilder. Omer Fast hat damit eine artistische Neustrukturierung erzählerischer Muster geschaffen – und ist doch bereits einen Schritt weiter.

Das Ein-Kanal-Video „Looking Pretty for God“ verzichtet auf die Verkomplizierung von Einzelschicksalen und wagt die Totale auf Tod, Lebendigkeit und deren Darstellung. Aus dem Off spricht ein Bestatter über die Kunst, Leichen für ihren öffentlichen Auftritt vorzubereiten. Seine Worte aber scheinen aus den Mündern von Kindern zu kommen, die für ein Fotoshooting geschminkt werden. Makaber? Nein. Ergreifend.

Kunstverein Hannover, bis 18. 1.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false