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Volker Braun: Kippfiguren

Die vielen Gesichter des letzten Utopisten

Von Gregor Dotzauer

Was er nicht alles war: Tiefbauarbeiter im Kombinat Schwarze Pumpe, Philosophiestudent in Leipzig und Dramaturg am Berliner Ensemble. Was er nicht alles ist: ein in großen und kleinen Formen versierter Erzähler, Lyriker und Dramatiker, der für sein Werk 2000 den Büchner-Preis erhielt – und seit drei Jahren Direktor der Sektion Literatur in der Akademie der Künste ist. Was er dabei immer sein wird: im tiefsten Herzen ein Sachse aus Dresden, auch wenn er seit Mitte der sechziger Jahre in Berlin zu Hause ist. Und ein freier, manchmal auch flüchtiger Geist, der seine Parteilichkeit immer mit einem Sinn für das Dialektische jeder Erkenntnis zu verbinden wusste.

Volker Braun, am heutigen Mittwoch vor siebzig Jahren geboren, lebte als Schriftsteller in der DDR ein exemplarisches Leben zwischen Anpassung und Abweichung. SED-Mitgliedschaft und staatliche Observierung, Verteidigung der sozialistischen Idee und Austritt aus dem Schriftstellerverband, Publikationsbehinderung und Reisemöglichkeiten prägten seine Existenz, aus der ein tiefes Bedürfnis zur Häresie erwuchs. Die Ansprüche, die er an die DDR richtete, stellte er aber auch an das wiedervereinigte Deutschland und seine „zusammengenagelte, erpresste Einheit, die Einheit der Uneinigen, Ungleichen, der Zerrissenen, die deutsche Einheit“. Er kämpfte schreibend für „die Wahrheit, welche auf beiden Seiten wohnet“.

Was einer war, ist und sein wird, zählt aber zumindest für Braun wenig gegenüber dem, was sein könnte. Sein ganzes Werk zeugt vom Glauben an die Unabgeschlossenheit der Geschichte, ja es erinnert an deren uneingelöste Versprechen. Volker Braun ist der letzte Utopist der deutschen Literatur – und zugleich, ganz büchnersch, ein Skeptiker aller Heilsversprechen. Seine Arbeiten ragen weit über die Epochen hinaus, aus denen sie ihr Material beziehen. Von Brauns bedeutendstem Drama „Die Kipper“ (1972), das die Widersprüche der sozialistischen Arbeitswirklichkeit ausleuchtet, führt ein direkter Weg zur Erkundung der Arbeitslosigkeit im Kapitalismus, wie er sie in seinem jüngsten Roman „Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“ (2008) versucht. Und wenn Prosatexten wie der „Unvollendeten Geschichte“ (1975), die von der Liebe zwischen einem Republikflüchtling in spe und der Tochter eines SED-Funktionärs erzählt, die direkte politische Sprengkraft verloren gegangen ist, so bleibt doch die spannende Konstellation – wie in den dialogischen Volten des „Hinze-Kunze-Romans“ (1985). Gregor Dotzauer

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