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Berliner Volksbühne

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Volksbühne: Furie des Verschlingens

Frank Castorf und Henry Hübchen luden zu einem Wohlfühlabend in der Berliner Volksbühne und verrieten, warum Theater manchmal schmerzhaft sein muss.

Eigentlich war die Sache mit der Schauspielerei eher ein Missverständnis. „Ich hätte genauso gut kellnern gehen können“, kommentiert Henry Hübchen bestens gelaunt seinen Auftritt als Nachwuchs-Apache, der sich gelenkig in die Büsche schlägt. Der Job als Defa-Indianer, erfahren wir in Sabine Lidls und Irene Höfers Film „Henry Hübchen – Mein Leben“, war einer seiner ersten überhaupt.

Es wird nicht der einzige Moment bleiben, in dem das Publikum der gut gefüllten Berliner Volksbühne vor Vergnügen kreischt. Schließlich erinnert das Haus an die Hochphase zweier seiner größten Protagonisten. Unmittelbar auf das komprimiert verfilmte Leben des Schauspielstars Henry Hübchen folgt auch das des Intendanten Frank Castorf in einem überschaubaren 45-Minüter. Und hinterher werfen sich die beiden Haus-Ikonen, die in den neunziger Jahren an der Volksbühne das Theater neu erfunden, bekanntlich aber schon länger nicht mehr zusammengearbeitet haben, auf dem Podium mit Jürgen Kuttner launig die Pointen zu.

Man habe sich quasi, witzelte Conferencier Kuttner in seiner Anmoderation, zu einem Abend der Abwesenheit zusammengefunden: Der erste Protagonist, Hübchen, sei längst „von der Furie des Verschwindens“ ergriffen. Und was den zweiten, Castorf, betrifft, so wünsche sich „manch missgünstiger Geist“, dass die „Furie des Verschwindens“ endlich zuschlage. Das war aber auch schon alles, was ansatzweise in die Rubrik „aktuelle Krisen-Kommunikation“ fiel. Die Volksbühne hatte zu einer Fan- und Wohlfühlveranstaltung geladen. Und als solche funktionierte der Abend hervorragend. Abgesehen davon, dass beide Filmporträts bereits im Fernsehen zu sehen waren, erfahren Insider dort sowieso nichts spektakulär Neues. Hübchen hatte den Charakter der Unternehmung mit dem Statement: „Mein Beruf ist es, mich nicht zu zeigen“ treffend umrissen.

Schauspielstar Henry Hübchen
Schauspielstar Henry Hübchen

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Trotzdem verlassen zumindest nostalgieanfällige Volksbühnen-Besucher das Haus nach dreieinhalb Stunden so gut gelaunt wie lange nicht. Die hohe Kunst des Slapstick, mit der Henry Hübchen als Provinzonkel Klapproth in Castorfs Erfolgsinszenierung „Pension Schöller/Die Schlacht“ von 1994 auf dem Kartoffelsalat ausrutscht, ist tatsächlich bis heute derart unerreicht, dass man sie sich notfalls auch in beiden Filmbeiträgen gern noch einmal anschaut.

Die Diagnose der Volksbühnen-Starkollegin Sophie Rois, Hübchen sei möglicherweise der einzige deutsche Schauspieler, der über den Sexappeal eines erwachsenen Mannes verfüge – eine Art Mastroianni mit leichtem Autoverkäufer-Touch – wird ebenfalls keiner anzweifeln. Während Hübchen sich gern an der Ostsee filmen und in einer Archivaufnahme von 1981 auch als frisch gebackener DDR-Meister im „Brettsegeln“ – sprich: Surfen – über günstige Windverhältnisse befragen lässt, streicht der Intendant in Adama Ulrichs Film „Frank Castorf – mein Leben“ durch Berlin-Mitte sowie seine frühere DDR-Wirkungsstätte Anklam und gibt zu Protokoll, Theater müsse „schmerzhaft sein im Exekutieren.“

Wirklich die Katze aus dem Sack lässt Castorf aber erst unter Jürgen Kuttners sympathisch ernsthafter Moderation: Freundschaft sei es sicher nicht, was ihn mit Hübchen verbinde. Der Schauspieler protestiert grinsend. Ob Castorf sich nicht erinnere, dass er ihn in einem Zeitungsinterview ohne jede Not als seinen einzigen Freund bezeichnet habe? Darauf der Intendant zum Moderator: „Siehste, was uns wirklich zusammenhält, ist eine grundsätzliche Verlogenheit.“ Mit Eindeutigkeiten hält man sich auf dem Podium allerdings zurück, sowohl was die eigene Zukunft als auch die des Hauses betrifft.

Dabei bohrt Kuttner wirklich hartnäckig: „Wäre das nicht ein Angebot, unter Frank Castorfs Regie erotisch zu altern?“ fragt er Hübchen, nachdem Castorf die Bühne zuvor als einen der wenigen Orte gepriesen hatte, an dem Menschen „mit Erotik altern“ könnten. Hübchen antwortet ausweichend, nichts aus-, aber auch nichts einschließend. Und während Castorf bekennt, als Intendant „kein guter Pädagoge“ zu sein, fordert aus der ersten Reihe ein Schauspieler seinen Kollegen Hübchen lautstark auf: „Sing doch mal was.“ – „Später“, gibt der lässig zurück. Beim nächsten Diskussionspunkt ist der Zwischenrufer neben seinem Glas friedlich eingenickt.

Das Theater, denkt man in diesem Moment, ist tatsächlich verdammt clean geworden in den letzten Jahren. Die Volksbühnenzuschauer wissen schon, warum sie diese charmant sinnfreie Retroveranstaltung feiern.

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