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Kultur: Von allen Sinnen

Pina Bauschs türkisches Traumstück „Nefés“ beendet den „ Tanz im August“. Eine Bilanz

Von Sandra Luzina

Diese Frauen! Wo sonst sieht man auf der Bühne noch so hinreißende Frauen wie bei Pina Bausch? Ihnen muss man einfach zu Füßen liegen. Und möchte man ihnen nicht auch in die Arme fallen – wie der schreckhafte Junge mit den versprengten Bewegungen? Plötzlich wird er von sechzehn Händen zärtlich gestreichelt, mit Liebkosungen überschüttet wie ein Kätzchen. Das ist fast zuviel! Das ist süß wie türkischer Honig, und davon naschen die Frauen so reichlich, dass es aus den Mündern tropft. Und Pina Bausch füttert uns mit immer mehr: Wonnen, Weiblichkeit und mit Tanz, traumschönem, sehnsuchtsvollem Tanz.

Mit der Produktion „Nefés“ (zu deutsch: Atem) aus dem Jahr 2003 gastiert das Tanztheater Wuppertal im Rahmen des türkischen Festivals „Simdi Now!“ in der Volksbühne und gibt dem Tanz im August einen glanzvollen Abschluss. Das Festival litt zuletzt an heftigen Ermüdungserscheinungen, nun konnte man noch einmal aufatmen. „Nefés“ ist durch einen Istanbul-Aufenthalt der Choreografin anregt worden – und das Berliner Gastspiel wird hauptsächlich mit Geldern aus Istanbul bestritten.

Was Pina Bausch da als Hamam-Fantasie und Bazar-Treiben eingefallen ist, bleibt zwar nah am Klischee. Doch „Nefés“ ist vor allem eine Feier von Weiblichkeit und Schönheit, und die lässt sich nicht unterdrücken. Das wehende Haar wird schon mal zum Schleier oder mit Schlägen traktiert. Aber die fabulösen Tänzerinnen können und wollen ihre Sinnlichkeit nicht verstecken, in den transparenten Abendkleidern von Marion Cito, die sich so wunderbar an den Körper schmiegen und mit den fließenden Stoffen raffiniert das Linienspiel der Bewegung unterstreichen. Kurven, Rundungen, verschlungene und schlängelnde Muster. Der Tanz zu überwiegend türkischen Klängen ist orientalisierend und ornamental, zugleich rauschhaft und ausdrucksvoll.

Die Inderin Shantala Shivalingappa, die Indonesierin Ditta Miranda, die Koreanerin Na Young Kim – so zierlich und zart, so biegsam und schmiegsam. Die Männer wollen sie auf Händen tragen, herumwirbeln. Sie reichen sie wie ein Gepäckstück weiter, von einem Mann zum anderen. Manchmal vermisst man die hysterischen Weiber, die früher durch die Stücke von Pina Bausch tobten – auf hohen Absätzen. Sie sind den Männern auch mal dienstbar, diese zauberhaften Geschöpfe. Kommen auf allen Vieren angekrochen. Kritik an der untergeordneten Stellung der Frau – ja, aber in homöopathischen Dosen. Pina Bausch wählt eine andere Strategie: Zeigt eine Überdosis an unwiderstehlicher Weiblichkeit. Darauf springt das deutsche Publikum genauso an wie das türkische.

Im zweiten Teil gewinnen auch die Männer, die zunächst eher blass wirkten. Durch die Aneinanderreihung der Szenen verliert „Nefés“ zwar ein wenig an Spannung. Doch wer will hier mäkeln. Mit Pina Bausch verbindet das Berliner Publikum ja eine langjährige Liebesbeziehung. Und so feierte es seine Königin mit standing ovations.

Pina Bausch hat uns die neue Frauenbewegung nahe gebracht, und die kommt sehr verführerisch und sanftmütig daher. Eröffnet wurde das Festival „Tanz im August“ von „Oh my Goddess“ und Michael Clark. Das war alles andere als göttlich und konkurrierte übrigens mit „Lady Salsa“. Inzwischen wissen wir: Wir brauchen keine neuen Göttinnen im Tanz, aber Enthusiasmus und auch ein wenig Schönheit und Hingabe können nicht schaden. Das kann man bei Pina Bausch sehen. Und das weiß auch Akram Khan, dessen Tanzkonzert „Ma“ zu den raren Höhepunkten des Festivals gehörte.

Das neue Viererteam von Hebbel am Ufer und Tanzwerkstatt Berlin (Ulrike Becker, Matthias Lilienthal, Bettina Masuch, André Thériault) setzte weniger auf glanzvolle Namen, dafür auf choreografische Neuentdeckungen. Auffällig viele Künstlerinnen waren diesmal vertreten - die auf fatale Weisen den Gender-Theorien anhängen. Der Tanz hechelt dem modischen Körper-Diskurs hinterher und bleibt oftmals auf der Strecke. Und so schlecht getanzt wie diesmal wurde selten! Dieser Tanz im August: Das waren Boys in rosa Kleidchen, Frauen mit angeklebtem Schnurrbart. Ein Cowgirl mit knallender Peitsche und ein Öko-Guru im Kaftan. Dann wurde noch gesichtet: der letzte Mann, der zum Affen regrediert. Im Ganzen präsentierte sich die 16. Ausgabe des Festivals orientierungslos – wie die Tanzszene selbst.

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