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Kultur: Von Europa lernen

Im Pazifik eskaliert der Streit um ein paar Inseln: Wolfgang Hirn warnt vor einem neuen Kalten Krieg zwischen China und dem Westen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges steht ein neuer Weltkrieg immer wieder kurz bevor – zumindest in der Wahrnehmung von nach hohen Auflagen strebenden Journalisten und Sachbuchautoren. In der Realität passiert ist bisher allerdings nichts dergleichen. Selbst der Koreakrieg vor 60 Jahren, in dem Chinesen und Russen direkt gegen Amerikaner kämpften, führte nicht zu einem neuen globalen Krieg, auch nicht die Kuba-Krise ein Jahrzehnt später. Stattdessen hat der Kalte Krieg nie wirklich ein Ende gefunden. Auch heute stehen sich Moskau und Washington in Krisenregionen mit gegensätzlichen Interessen gegenüber. Der jüngste Fall ist Syrien: Das Regime von Assad wird von Russland unterstützt, die Opposition von den USA: ein Stellvertreterkrieg wie zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation.

Doch nicht nur Moskau und Washington geraten immer wieder aneinander. Auch China und die USA bewegen sich in strategischer Konkurrenz zueinander. Hier setzt auch Wolfgang Hirn an. Der Reporter des „Manager Magazins“ hat sich in den vergangenen Jahren in mehreren Büchern mit dem Wandel in Asien auseinandergesetzt. Was er dort heute beobachtet, ist für ihn aus historischer Perspektive betrachtet nichts Neues: In der Weltgeschichte habe es immer ein Kommen und Gehen von großen Mächten gegeben. Zu allen Zeiten seien der Verteidiger und der Herausforderer der Macht gegeneinander angetreten. So sei es schon im alten Griechenland gewesen, als Sparta gegen Athen antrat. Und so sei es auch heute, wo China die Stellung der USA als führende Weltmacht attackiere.

Meist – und das ist nicht nur nach Hirns Einschätzung das Gefährliche an der heutigen Situation – waren derlei Übergänge der Macht von kriegerischen Auseinandersetzungen begleitet. Deshalb stellt er wie derzeit viele Beobachter die Frage: Wird dieses Mal der Machtkampf zwischen der alten und der neuen Weltmacht friedlich verlaufen oder nicht? Hirn sieht hier China und die USA in einem klassischen Sicherheitsdilemma gefangen: Jeder glaube, seine militärischen Anstrengungen seien rein defensiver Natur – doch vom jeweils anderen würden sie als aggressiv empfunden.

Nach Hirns Urteil strebt China eine regionale Hegemonie an: „Die Chinesen wollen Herr im asiatischen Hause sein. Die derzeitigen amerikanischen Mitbewohner betrachten sie dabei als Eindringlinge, die nicht dorthin gehören.“ Deshalb versuchten sie, die Amerikaner zumindest aus dem westlichen Pazifik fernzuhalten und entwickelten entsprechende Waffen, um dies zu erreichen. Die USA hielten dagegen. Hirn geht davon aus, dass sie nicht kampflos das Feld westlich von Hawaii räumen werden. Im Gegenteil: Sie wendeten sich, nachdem sie ihre militärischen Abenteuer im Nahen Osten beendet hätten beziehungsweise bald beenden würden, wieder verstärkt dem pazifischen Raum zu. Und in der Tat: Die amerikanische Marine verstärkt ihre Präsenz im Pazifik. Bündnisse mit alten und neuen Verbündeten rund um China werden geschlossen, was wiederum Peking glauben lässt, es werde von Washington eingekreist.

Wird aus diesem zweiten Kalten Krieg, wie Hirn diese Entwicklung nennt, ein heißer werden? Nicht unbedingt, lautet sein Fazit. Aber dazu muss sich nach seiner Analyse vieles ändern und dies möglichst gleichzeitig bei den entscheidenden handelnden Akteuren China und USA als auch bei dem bisher nicht handelnden Akteur: der Europäischen Union. Hirn stimmt Henry Kissingers Empfehlung zu: „Die USA sollten Konfrontation nicht als die Strategie ihrer Wahl adaptieren.“ Kissinger plädiert für eine „Pacific Community“, die China ein- und nicht ausschließt. Die Zusammenarbeit der alten und der neuen Weltmacht soll sich nach Kissingers Idee auf den pazifischen Raum beschränken, was jedoch Verhaltensänderungen auf beiden Seiten erfordert. Die USA sollten in Asien ihre militärischen „Kraftmeiereien“ reduzieren. China hingegen müsse seine Muskelspiele im Südchinesischen Meer beenden. Statt Schiffe und Flugzeuge in die unter den Anrainerstaaten umstrittenen Gebiete zu entsenden, sollte Peking Gesandte an den Verhandlungstisch schicken. Und dort sollte multilateral und nicht, wie es China wünscht, bilateral verhandelt werden. Zudem müsse Peking als vertrauensbildende Maßnahme mehr Transparenz in seiner Militär- und Rüstungspolitik schaffen.

All dies wird sowohl den USA wie auch China nach Hirns realistischer Bewertung schwerfallen. Daher sieht er einen vermittelnden Dritten als hilfreich an. Und diese Rolle könnte in seinen Augen Europa übernehmen – gerade weil es in der Region keine geostrategischen Ambitionen verfolgt. Zumal die EU bei einer solchen vermittelnden Aufgabe einiges anbieten kann, vor allem vielfache Erfahrungen, wie man grenzüberschreitende Konflikte löst. Hirn erinnert an die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die in Zeiten des ersten Kalten Krieges eine nicht unbedeutende Rolle gespielt und zur Entkrampfung des Konflikts beigetragen habe. Warum sollte man also nicht eine „KSZA“ – eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Asien – initiieren?

Bedarf für ein solches Forum gibt es angesichts der Konflikte in der Region sicherlich. Asien hat bisher keine eigene Sicherheitsarchitektur. Dabei existieren bereits Fundamente, auf denen sie sich nach Hirns Darstellung aufbauen ließe: zum Beispiel das „Asean Regional Forum“ (ARF). Hier könne Europa viel Erfahrung einbringen. Denn die Zivilmacht Europa, die den ersten Kalten Krieg durchlebt hat, habe eine große Chance und Verantwortung, eine Eskalation eines zweiten Kalten Krieges zu verhindern. Damit nicht erneut ein neuer Weltkrieg kurz bevorsteht – und dieses Mal nicht nur in der Wahrnehmung von Journalisten und Sachbuchautoren.







– Wolfgang Hirn:

Der nächste Kalte Krieg: China gegen den Westen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 284 Seiten, 14,99 Euro.

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