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Kultur: Von klassischem Rang

Ein neues Buch rückt Schlossbaumeister Andreas Schlüter in die erste Reihe der Architekten Europas

Mit dem eindeutigen Votum des Deutschen Bundestages zugunsten der Wiedererrichtung des Berliner Schlosses in seiner äußeren Form ist die hitzige Kontroverse über das Für und Wider einer historisch getreuen Rekonstruktion abgeebbt. Der Blick ist frei geworden für das gewesene Bauwerk selbst. Wie es aussah, ist inzwischen unvergleichlich viel besser bekannt, als man noch vor wenigen Jahren hoffen durfte. Was aber offen und nach Jahrzehnten der Geschichtsverneinung in der Tat neu zu beantworten bleibt, ist die Bewertung: Wie bedeutend war das Schloss?

Der barocke Koloss

Was es politisch bedeutete, steht mittlerweile jenseits aller Ideologie vor Augen; was es stadträumlich bedeutete, ist an seinem Fehlen tagtäglich schmerzlich zu erfahren. Was es aber kunsthistorisch bedeutet(e), darüber gehen die Meinungen denn doch auseinander. Vom „bedeutendsten Barockbau nördlich der Alpen“ reden seine Bewunderer, von einem planlos aufgehäuften Koloss seine Verächter. Guido Hinterkeuser hatte es sich in seiner Berliner Dissertation zur Aufgabe gemacht, das Hohenzollernschloss als Hauptwerk des Barockbaumeisters Andreas Schlüters im Kontext seiner Zeit darzustellen; eine überarbeitete Fassung dieser Arbeit liegt seit wenigen Tagen als Buch vor . Es geht also, wie der Untertitel verrät, nicht um die Geschichte des Schlosses, weder die der zahlreichen Umbauten durch die späteren preußischen Könige, noch gar um die der musealen Nutzung und der schließlichen Zerstörung, sondern ausschließlich um jenen historischen Moment, da aus der Residenz der brandenburgischen Kurfürsten das Schloss der preußischen Könige erwuchs.

Es ist dies das Werk Andreas Schlüters. Hinterkeuser, der nach einem Volontariat bei der Berlin-Brandenburgischen Schlösserstiftung mittlerweile am Düsseldorfer Schloss Benrath tätig ist, hat seinen Blick ganz auf den ursprünglich als Bildhauer und erst beim Zeughaus zugleich als Architekt hervorgetretenen Schlüter gerichtet, der nach der Vorlage seines überzeugenden Schlossentwurfs 1698 bald darauf in das machtvolle Amt eines Schlossbaudirektors berufen wurde und 1706 mit dem Abtragen des einsturzgefährdeten Münzturm-Fragments schräg gegenüber dem Zeughaus in Ungnade fiel. Für Hinterkeuser ist die – immer wieder infrage gestellte – Autorschaft Schlüters am Schloss ganz unzweifelhaft; er kommt nach ausführlicher Diskussion der Einwände zum Ergebnis, „dass im ausgehenden 17. Jahrhundert vor Schlüters Eingreifen niemals nach einem einheitlichen Plan gebaut worden“ sei. Das erlaubt, den Blick auf die Jahre um 1700 zu richten, da Berlin, den Ambitionen des frisch gekrönten Königs Friedrich I. entsprechend, in den Mittelpunkt europäischer Baugedanken rückt.

Der glückliche Augenblick

Mit dem größten Gewinn wird der Leser das Kapitel über den europäischen Kontext lesen, in dem Hinterkeuser das einige Jahrzehnte vorangehende, stilprägende Vorhaben zum Umbau des Louvre mit der berühmten Entscheidung zwischen Bernini und Perrault darstellt, ferner den zeitgleichen Umbau des Stockholmer Schlosses durch Nicodemus Tessin d.J., der vielfach als Autor eines „ersten“ Planes für Berlin herangezogen wird; zudem die Reise des Wiener Baumeisters Johann Bernhard Fischer von Erlach nach Berlin im Jahre 1704, der der Entwurf eines Lustschlosses vor den Toren der Stadt entsprang.

Den Vergleich mit dem Wiener Kollegen entscheidet Hinterkeuser in einer Weise zugunsten Schlüters, die das Urteil über dessen Leistung im Ganzen spricht: „Mit der Umformung eines fürstlichen Residenzschlosses in einen Palast von römischem Zuschnitt war Schlüter eine Aufgabe anvertraut worden, die in Europa nur wenigen Glücklichen zufiel.“ Es ist dieser europäische Rang, den das Berliner Schloss beanspruchen darf – freilich, wenn man allein Schlüter im Auge behält, dessen ursprünglicher Entwurf eines „Vierkants“, einer Vierflügelanlage: der Ausgangsbau mit dem später nach seinem Schöpfer benannten Schlüterhof. Dasjenige Schloss, das 1950 gesprengt wurde und um dessen Dimension es bei der Wiederherstellung seiner Fassaden in unseren Tagen geht, ist die monumentale, in mancher Hinsicht wohl auch monotone Erweiterung unter Schlüters Nachfolgern.

Dazu versagt sich Guido Hinterkeuser jede Bemerkung. Eine Zusammenfassung, dazu ein Ausblick auf die heute brennenden Fragen hätten dem Buch sicherlich gut getan, das sich ganz auf seine unbestreitbare Wissenschaftlichkeit zurückzieht. Die Bewertung des Schlosses, nicht wie es unter Schlüter entstand, sondern wie es im Laufe der Geschichte wuchs, bleibt der Gegenwart aufgegeben. Hinterkeusers materialreiche Studie bietet die Grundlage, zu einem angemessenen Urteil zu kommen.

Guido Hinterkeuser: Das Berliner Schloss. Der Umbau durch Andreas Schlüter. Siedler Verlag, Berlin 2003. 512 S., 420 Abb., 39,90 €.

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