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Kultur: Vorpommern, nachgebaut

Keine Karte kennt den Flecken Pampsee. In einer Neuköllner Ausstellung existiert er. Dank einer Idee von Barbara Caveng.

Dieter gibt es doppelt. Als lebensgroßen Pappaufsteller gleich gegenüber dem Eingang der Saalbau-Galerie Neukölln. Und in Fleisch und Blut, hinten im letzten Ausstellungsraum, wo er emsig hämmert und schraubt. Das Irritierende daran: Er trägt dieselben Klamotten wie in Pappe. Kurze Hosen und das im Winter! Der Mann muss Hitze haben.

Dieter Nidziella aus Blankensee in Vorpommern ist das lebende Beispiel dafür, wie Kunst kunstferne Menschen in Wallung bringen kann. Wenn sie denn mitmachen wollen und können. „Es war eine schöne Zeit, sie hat mich gestärkt“, sagt er in der sechsteiligen Dokumentation, die der Fernsehsender Arte über die „Kunst fürs Dorf“-Aktion der Berliner Künstlerin Barbara Caveng und zwei weiterer Kollegen gedreht hat. Im Rahmen der Ausstellung „Heimisch“ wird sie nun noch einmal gezeigt.

Ehrensache, dass Dieter Nidziella nach Berlin gereist ist, um beim Ausstellungsaufbau mitzuhelfen. Schließlich hat er als Mitglied der Holzbrigade, die daheim eine 14 Meter lange Skulptur aus Schichtholz errichtet hat, maßgeblichen Anteil an dem Unternehmen. „Ich helfe gern“, sagt er, streckt die Hand zum Einschlagen hin und geht wieder an die Arbeit. Partizipative Kunst, die Mensch, die Mann, die Handwerker geworden ist.

Dass ihr Projekt mit dem Titel „Mi kricht hier keener mehr wech“ genauso aufgehen würde, wie es zuerst die im Herbst ausgestrahlte Dokumentation und jetzt die Ausstellung dem Betrachter vermitteln, hat Barbara Caveng nicht vorausgeahnt. „Ich habe kein vorgefertigtes Anliegen, ich bin kein Sozialarbeiter. Ich mache Feldforschung und entwickele daraus die Idee“, sagt die Neuköllner Künstlerin, die ursprünglich aus der Schweiz stammt und seit 1996 in Berlin lebt. Partizipative Projekte, bei denen sich Kunst und Leben verschränken – erstmals propagiert in den Sechzigern von Fluxus-Künstlern, um den Alltag zu erobern und die klassischen Ausstellungsräume zu verlassen – entwickelt Caveng seit zehn Jahren immer wieder mal. „Partizipative Hochkultur“ nennt sie die Aktion in Meck-Pomm: „Mein Projekt mit dem höchsten persönlichen Einsatz und dem höchsten Gewinn.“ Die bekannteste – und häufig kopierte – Arbeit der gebürtigen Zürcherin sind die „Final Meals“, eine Fotoinstallation, für die sie die letzten Mahlzeiten von Todeskandidaten inszeniert hat. Viel beachtet waren auch das „Neuköllner Sozialparkett“, ein stilisierter Fußboden, der jetzt zur Sammlung der Berlinischen Galerie gehört, oder die jüngst in Halle entstandene Installation „Heaven Heaven Heaven“, eine aus Menschenknochen gebaute Kalaschnikow.

Solch schauerliche Memento mori sind in der Neuköllner Saalbau-Galerie nicht zu sehen. Im Gegenteil: Barbara Cavengs feuerroter Haarschopf, ihre Ringelstrümpfe, ihr Kommunikationstalent fügen sich nahtlos in das bunte, durch dreidimensionale Pappkameraden versinnbildlichte Leben im Kunstdorf Pampsee. Wandfüllende Dorfaufrisse erzählen vom Beziehungsgeflecht der Dörfler untereinander, Audiostationen bringen sie zum Sprechen, Möbel, Modelle und eine funktionstüchtige Nähstube fordern zum Befühlen und Schneidern auf. In „Pampsee“, der Kunstgemeinde, die Barbara Caveng letzten Sommer mit den Bewohnern von Blankensee und Pampow gegründet hat, haben die von „ihrer Künstlerin“ zum Mittun animierten Bürger außer der Holzbrigade auch eine Tourismus AG und eine Nähkooperative gegründet, die alte DDR-Stoffe zu Sonnenschirmen und Fantasietrachten verarbeitet hat. Nicht aus folkloristischen Gründen - den Verdacht verneint Barbara Caveng streng –, sondern weil „Stoffe Träger der Vergangenheit, der Erinnerung sind, die man so ganz konkret verarbeiten kann“.

In Neukölln, wo ihr nach einem Medienaufruf ebenfalls jede Menge Stoffballen zum Vernähen gespendet wurden, entsteht daraus naturgemäß ein anderer Erinnerungsstoff. Hier in Berlin sei die Frage nach Identität, danach, was Menschen an einem Ort hält und festhalten lässt, genauso akut wie in den schrumpfenden Dörfern Vorpommerns, sagt Caveng. „Das Thema ist so urban wie provinziell. Die Landflucht verbindet beide Lebensbereiche.“

Das Abenteuer begann im März vergangenen Jahres, als sich Barbara Caveng für sechs Monate unweit der polnischen Grenze in der Zweidörfergemeinde Blankensee-Pampow niederließ. Entsandt von der Stiftung Kulturlandschaft, die als Aktion gegen Dorfverödung einen bundesweiten Wettbewerb unter Künstlern und Dörfern ausgelobt und je einen mit 20 000 Euro Projektbudget ausgestatteten Künstler in Weiler nach Sachsen, Hessen und eben Mecklenburg-Vorpommern geschickt hatte. Die durch eine drei Kilometer lange Asphaltstraße mehr getrennte als vereinte Doppelgemeinde war in den letzten Jahren von 700 auf 530 Einwohner geschrumpft. Einziger demografischer Lichtblick: die Zuwanderung junger polnischer Familien, die zur Arbeit nach Stettin pendeln.

Alteingesessene, Zugereiste, Alte, Junge, Deutsche, Polen zusammenzu- bringen und das Dorf zu beleben, ja zu helfen, es am Leben zu halten – so lautete der Wunsch der Bewohner an Barbara Caveng. Dem hat sie sich mit Eifer gestellt, obwohl sie als Fremde auch hartnäckige Gegner hatte. „Ich bin morgens um sechs aufgestanden und habe bis 23 Uhr gearbeitet. Die Leute da sind harte Arbeiter, die haben das gesehen und mich respektiert.“ Und sie haben mitgespielt: beim Umbau eines alten Bauwagens zum „Kunstkiosk“ am Oder-Neiße-Radweg oder bei den „Heimsuchungen“ genannten Hausbesuchen, bei denen Caveng die Vertriebenengeschichten, Ostgeschichten, Westgeschichten, Dorfgeschichten aufgezeichnet hat, von denen jetzt Auszüge in der Ausstellung zu hören sind. Aus den Gesprächen stammt auch der plattdeutsche Satz „Mi kricht hier keener mehr wech“, der in großen Lettern die Holzskulptur auf dem Dorfplatz von Pampsee ziert.

Außer Ideenreichtum und Animationstalent hat Caveng auch ihre Schweizer Neutralität geholfen, einen weiterglimmenden Kunstfunken zu zünden. „Das ist überall auf der Welt eine gute Position: Ich bin harmlos, ich bin nicht geschichtsbelastet, ich bin Heidi und Schokolade.“ In Pampsee läuft der Kunstkiosk diesen Sommer weiter. Ob die realen Dörfer Zukunft haben, weiß auch Barbara Caveng nicht: „Es geht nicht nur darum, das Überleben zu sichern, es geht auch um Poesie.“ In Vorpommern wie in Neukölln.

Galerie im Saalbau, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln, bis 6. April, Di-So 10-20 Uhr

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