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Kultur: Vorschau: Babel & Co: Bruno Preisendörfer über den Schlaf in verzweifelten Städten

Im Winter ist Berlin ein Depri-Monster, im Frühjahr und Herbst ist die Stadt ein frischgrüner beziehungsweise bunter Schatz, und im Hochsommer hat sie Achselschweiß, und das nicht nur im übertragenen Sinne. Da kann man schon Lust auf wochenendliche Stadtfluchten kriegen.

Im Winter ist Berlin ein Depri-Monster, im Frühjahr und Herbst ist die Stadt ein frischgrüner beziehungsweise bunter Schatz, und im Hochsommer hat sie Achselschweiß, und das nicht nur im übertragenen Sinne. Da kann man schon Lust auf wochenendliche Stadtfluchten kriegen. Am Sonntag könnten Sie sich diese Lust auf literarische Weise gönnen mit "dichtung um drei" im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf. Es lesen Gerald Zschorsch und Gabriele Weingartner, moderiert wird von Jochen Hörisch. Weingartner liest aus ihrem jüngsten Roman "Bleiweiß", Zschorsch aus dem Gedichtband "Eiserner Felix".

In der letzten Woche ist in dieser Kolumne ein "r" desertiert. In Zusammenhang mit Diderots "Indiskreten Kleinoden" sollte von autor-erotischem, nicht von auto-erotischem Vergnügen die Rede sein. Und immerhin handelt es sich hier um einen handgreiflichen Unterschied. Diderot hielt die Feder, als er das Romänchen schrieb. Was aber die wollüstige Dame in der letzten Kolumne betrifft: Es war weder de Sades "tugendhafte" Justine noch de Sades "lasterhafte" Juliette, sondern eine bürgerliche Ehefrau, die von ihrer Vergangenheit als "Freudenmädchen" erzählt. Der Name dieser literarischen Männerphantasie, die seit zweihundertfünfzig Jahren zu den gar nicht so häufigen Büchern gehört, die man einer Bemerkung Rousseaus zufolge beim Lesen stets nur mit einer Hand halten kann, ist Fanny Hill. Ihr Verfasser war John Cleland. Der Roman ist ein sehr schönes Beispiel für die praktische Widerlegung der naiven Vorstellung, Kunst und Pornografie würden einander ausschließen. Das trifft vielleicht für den Film, aber ganz bestimmt nicht für die Literatur oder für die Malerei zu. Der nackte Amor Caravaggios zum Beispiel ist Kunst und Kinderporno in einem, handwerklich vollkommen, ikonographisch provokant, ästhetisch faszinierend - und zugleich ein richtiger Päderastenschinken im Kardinalsformat.

Im Sommer schläft man gern bei offenem Fenster. Aber urbane Nächte sind einfach zu laut. In Lessings "Minna von Barnhelm" gibt es eine Stelle, in der Franziska (das ist Minnas "Mädchen") fragt: "Wer kann denn in den verzweifelten großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals - das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger wäre, als zur Ruhe." Und in wessen Aufzeichnungen steht diese Klage: "Dass ich es nicht lassen kann, bei offenem Fenster zu schlafen. Elektrische Bahnen rasen läutend durch meine Stube. Automobile gehen über mich hin. Eine Tür fällt zu. Irgendwo klirrt eine Scheibe herunter, ich höre ihre großen Scherben lachen, die kleinen Splitter kichern. Dann plötzlich dumpfer, eingeschlossener Lärm von der anderen Seite, innen im Hause. Jemand steigt die Treppe. Kommt, kommt unaufhörlich."

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