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Kultur: Vorwärts in die Kuhzunft Wo spielt die Musik?

Pop kommt in Deutschland aus der Provinz: Wie Düsseldorf einen kurzen Sommer der Anarchie erlebte

Ich bin Österreicher, aus Graz. Während wir kleinen Berglandhippies in den frühen Siebzigerjahren noch auf alten Autobussitzen in einer Kellerdisko das Küssen lernten, war anderswo schon längst alles gelaufen und in dunkelbraune Breitcordwohnlandschaften und den Fettglanz von Lipgloss hineinverloschen. 1978 folgte ich der Einladung eines Freundes, er hatte eine günstige Unterkunft in einem Heizungskeller anzubieten, und rettete mich nach Düsseldorf.

Plötzlich waren da Jugendliche, deren Frisuren an die Kristallisation einer Fontäne erinnerten, wie sie hochfährt, wenn man einen Stein oder einen Stapel Siebzigerjahre-Singles in schmutziges Wasser schmeißt. Plötzlich gab es in Kneipen Metalltischplatten, deren Anschliff aussah wie Schneeblumen. Und draußen auf der Straße stand die Nachrüstungsdebatte und traute sich nicht herein, weil sie nicht gut genug angezogen war.

Punk in Düsseldorf, das war nicht nur der Hauch von detoniertem Altkleidercontainer, sondern es waren 400-Mark-Lederjacken oder neu aufgelegte fesche Fünfzigerjahre in der Oberbekleidung – Wave. Punk war das Brennende an der Bewegung, die Neue Deutsche Welle der Löschzug, der mit Tatütata und diesen geilen roten Autos ausrückte. Nichts lag perfekter in der Zeit als gluthelle Lieder und schöne (ein ganz bisschen abgründige) Oberflächen. Und nichts passte besser in die Zeit als Düsseldorf.

Oberflächlichkeit ist banal: Damals führte etwas darüber hinaus. Aus Not, aus Wut, zum Spaß wurde Oberflächlichkeit in eine kunstvolle Persiflage von Oberfläche verwandelt. Anfang 1977 hatte Carmen Knoebel, Inhaberin des Ratinger Hofs in der Düsseldorfer Altstadt, allen gemütlichen Kitsch aus ihrem Lokal entfernen und Neonröhren einbauen lassen: „Die normalen Altstadtbesucher hatten spätestens ab dem Zeitpunkt Angst, bei uns reinzukommen.“ Drinnen konnte man sich nicht verstecken. Man war gefordert. Eine Mischung aus äußerster Klarheit und äußerster Heiterkeit entstand. An Mode und Musik war sie sofort zu erkennen – Kraftwerk, Fehlfarben, ZK, DAF, S.Y.P.H., KFC, der Plan.

Es gibt ein Geschenk, das jede Stadt bereithält: eine neue Identität. Die Möglichkeit, sich neu zu erschaffen. Man verdeckt seine Herkunft, literarisiert sich, verleiht sich einen Kampfnamen. Ein Freund aus Düsseldorf, im Sauerland geboren und mit hohen, asiatisch anmutenden Wangenknochen, erzählte mit Erfolg, dass er während eines Erdbebens in Kalkutta zur Welt gekommen war. Peter Hein, Sänger von Mittagspause, später Fehlfarben, hieß ab sofort Janey J. Jones. Alexander S., mein Quartiergeber, nannte sich Xao Seffcheque.

Im englischen New Music Express wurde gelegentlich der Leserbrief eines Enthusiasten aus Ghana abgedruckt: I love Beatles band. When will there be another record from Beatles band? Sind es nicht meist die vor Sehnsucht fast explodierenden Provinzler, die als Zündstoff das großstädtische Benzin im Blut in einen Raketentreibstoff verwandeln?

Aus Graz nach Düsseldorf gekommen, war die beleuchtete Rheinkniebrücke mir nachts erst erschienen wie die Golden Gate Bridge. Im gerade gegründeten Literaturbüro Düsseldorf lernte ich zum ersten Mal jemanden kennen, der einen eigenen Computer besaß. Da ich als einziger Schriftsteller unter all den Musikern in meinem Freundeskreis darunter litt, über keinerlei beeindruckendes Equipment zu verfügen, begriff ich augenblicklich, welche großartige Hilfe mir diese Maschine bieten konnte. Ich kaufte mir ebenfalls einen so genannten Mikrocomputer und nahm ihn fortan bei Lesungen sehr zum Erstaunen des Publikums mit auf die Bühne.

Warum Düsseldorf? „Weil ich da war“, sagt Peter Hein, der nach wie vor auf unnachahmlich schöne Weise sonderbar singt. Ein paar andere waren da natürlich auch noch, Leute wie Franz Bielmeier (Rondo) oder die Jungs von Atatak, die den Traum von einer unabhängigen Plattenindustrie träumten, oder Maler wie Markus Oehlen, Kippenberger und Milan Kunc, welche die Ideenfäden aus dem Ratinger Hof in die nahe Kunstakademie zogen.

Die Endsiebziger waren auch die Gründerzeit der Stadtmagazine, im Fall Düsseldorfs des „Überblick“ mit seinem Verleger Klaus Hang – einer gelegentlichen Neigung ins Cholerische wegen auch Hausklang genannt. Die Musik war laut, schnell und ziemlich dilettantisch, auch darin deckte Punk sich mit der typisch provinziellen Unbekümmertheit in Stilfragen. Plötzlich waren die Texte viel wichtiger als die Musik. Sie entstanden nicht aus der Kontemplation dichterischen Formwillens. Nach einem Punkkonzert im Februar 1978 saßen Franz Bielmeier, Peter Stiefermann und Peter Hein in der Küche bei Heins Mutter und Bratkartoffeln mit Speck. Der Fernseher wurde eingeschaltet: Testbild (für die Jüngeren: Es gab damals noch so genannten „Sendeschluss“ im Fernsehen). Ein legendäres Lied von Mittagspause nahm seinen Anfang: „montag morgens um halb zehn/ habe ich das testbild gesehn/ dienstags morgens um halb zehn/ mußte ich das testbild sehn/ mittwochs...“

Das Silvesterfeuerwerk 1981, vom Oberkasseler Rheinufer aus über Düsseldorf hochgeschossen, sah ich von dem Ereignis abgewandt aus einer Wohnung, gegenüber die dunkel verspiegelte Fassade eines Bankhochhauses. Die aufblühenden Lichter flossen über die schwarz glänzenden Fensterfacetten, das Hochhaus sah aus, als würde es zerbrechen und zart in sich zusammensinken, ein Quader aus glühender Asche. Damals war das ein perfektes Bild der Gegenwart: die Welt – gebrochen, groß, kalt und schön. Dann war’s vorbei. „Die Endsiebziger“, sagt Carmen Knoebel, „waren insgesamt eine unglaublich schnelle Zeit.“

Heute ist Düsseldorf wieder einfach nur Düsseldorf, ohne dieses spezielle Darüberhinaus der Jahre bis 1981. Auf der Kö gehen spitze Prada-Schuhe, am Nebentisch erzählt einer die Geschichte eines Manns, der zu Geld gekommen ist (Düsseldorf eben) und nun auch einen Weihnachtskarpfen will, Showdown vor Heiligabend: Frau und Tochter haben sich mit dem in der Badewanne untergebrachten Karpfen angefreundet und verweigern die Schlachtung, worauf der Mann den Fisch aus Trotz in eine chinesische Vase stopft und mit dem Revolver aus seinem Schreibtisch erschießt.Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, lebte von 1978 bis 1983 in Düsseldorf, wirkt inzwischen als Schreibprogramm in Berlin. 2002 erhielt er für seine Erzählung „Geschichte von Nichts“ den Ingeborg Bachmann-Preis.

FOLGE 3

Berlin wird „Pop-Hauptstadt“. Nach den Musikkonzernen zieht auch die Popkomm ab 29. September an die Spree. Aber wo entsteht gute Popmusik wirklich? Da, wo alle hinwollen? Oder da, wo alle wegwollen? Sechs Ausflüge in die Provinz. Als Nächstes: Weilheim.

Peter Glaser

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