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Kultur: Vorwärts – und vergessen

Umweltschutz? Wir sind im grünen Bereich. Dabei sind die Gefahren für die Natur größer denn je

Heute in unserer Serie zu den Grundsatzfragen des Wahlkampfs: die Umwelt. Bisher erschienen: Bildung (Peter von Becker, 7. 8.), Sicherheit ( Michael Rutschky, 12. 8).

Wer Jürgen Trittin fragt, warum Umweltthemen für den Wahlkampf kaum Bedeutung haben, bekommt vom grünen Minister eine einfache Erklärung: Seine Politik, vom Atomausstieg bis zum Dosenpfand, beruhe auf „sehr breitem Konsens“ und eigne sich nicht zur Polarisierung. Umweltpolitik bestehe meist darin, „überbordende Mehrheiten gegen finanzstarke Einzelinteressen durchzusetzen“. Darum könne Schwarz-Gelb mit anti-ökologischen Parolen keine Wähler gewinnen.

Das klingt plausibel – aber die Umkehrung gilt ebenso: Auch Rot-Grün macht mit dem Programm zur ökologischen Modernisierung keine Punkte mehr beim Wähler. Die Leute haben andere Sorgen. Das ist vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktmisere und dem Abbau der sozialen Sicherungssysteme auch wenig überraschend. Die großen Umweltprobleme, erst recht, wenn sie wie Klimawandel und Artensterben als weltweite Herausforderung daherkommen, waren seit je vor allem für die gut situierte Mittelschicht eine wichtige Frage. Hier rekrutierte die einstige Umweltbewegung ihre Aktivisten, hier fanden die Grünen ihre Wähler. Wer wenig eigene Sorgen hat, kann sich eben besser um die Zukunft der nächsten Generation kümmern.

Doch seitdem – Ironie der Geschichte – ausgerechnet mit Hilfe der Grünen eben diese Mittelschichten in Abstiegsangst versetzt werden, verliert Umweltpolitik an Relevanz im Politikbetrieb, genauso wie das politische Personal, das sich damit befasst. Bayerns Wahlkönig Edmund Stoiber bestritt schon den Wahlkampf 2002 ohne einen Umweltpolitiker in seinem Kompetenzteam und hatte deswegen während der Elbe-Flut plötzlich ein Problem. Nun hält es auch Angela Merkel so, obwohl sie einst am Hofe Helmut Kohls selbst das Amt der Umweltministerin bekleidete. Jetzt schreckte sie nicht davor zurück, ausgerechnet die ahnungslose Gerda Hasselfeldt zum Ausfüllen der CSU-Quote mit den Themen Landwirtschaft, Verbraucherschutz und – ja auch noch der Umwelt zu betrauen.

Dementsprechend bieten die Umweltpassagen in den Wahlprogrammen eine triste Lektüre. Die Union erwähnt das Thema im fünften Programmziel „Lebenswertes Deutschland“ neben der „Förderung von Kunst und Kultur“. Sätze wie „wir stärken die Eigenverantwortung der Wirtschaft“ oder die Warnung „Umweltschutz muss bezahlbar sein“ lassen vergessen, dass die Partei einst mit Klaus Töpfer, dem heutigen Chef der UN-Umweltorganisation, einen kundigen Umweltminister hatte, der solche Plattheiten nicht nötig hatte. Nicht minder flach kommen die Liberalen und die Linkspartei daher. Während Guido Westerwelle sich am liebsten mit falschen Daten zur „unwirtschaftlichen“ Windenergie profiliert, verkaufen die Lafontaine-Gysi-Jünger Öko-Fundamentalismus im Stil der 80er und verraten mit Spruchweisheiten, wie „wir setzen uns für ökologisches Wirtschaften ein“, dass sie eigentlich keine Ahnung haben.

Derweil betet das Wahlmanifest der SPD nur das bisherige Programm der ökologischen Modernisierung herunter. Kein Wort über neue Ansätze und internationale Perspektiven. Einzig die Grünen blieben, zumindest programmatisch, ihrem Urthema treu. Immerhin beschreiben sie noch die ökologischen Wachstumsgrenzen und erklären, wie dem zu begegnen wäre, von der energetischen Gebäudesanierung bis zur Citymaut. Offen bleibt allerdings, warum vieles davon während der sieben Regierungsjahre keine Rolle spielte, etwa die angestrebten Verbrauchsgrenzen für die Autoflotte.

All das erweckt den Eindruck, die ökologische Frage sei nach vier Jahrzehnten weltumspannender Debatten vom großen Menschheitsproblem zum Spezialthema geschrumpft. Die sichtbare Umweltzerstörung ist ja auch verschwunden, zumindest hier zu Lande. Vor 30 Jahren feierten Aktivisten noch demonstrativ die 100-jährige Befreiung der Wupper von den Fischen. Heute springen in der Heimat des Bayer-Konzerns wieder die Lachse. Auch an den morgendlichen Schwefelgeschmack auf der Zunge erinnern sich nur noch die älteren Berliner Innenstadtbewohner. Zwar sind drei Viertel aller Brunnen infolge des Gülle- und Düngewesens nitratverseucht. Dank der Naturverbundenheit der Bauernschaft ist auch der Artenreichtum in den Städten heute größer als auf dem Land. Aber das sind Schäden, die niemanden unmittelbar bedrohen.

Schon frohlockt die aufstrebende Generation der globalisierten Marktradikalen, dass sie auf dem anstrengenden Weg in die Führungsetagen nicht auch noch ihre Verantwortung für die Lebensgrundlagen der Menschheit bedenken muss. Da gilt es als schick, die als Geländewagen getarnten Blech-Panzer mit 20-Liter-Verbrauch durch den Stau zu steuern. Und wer dennoch am Streben nach „ressourcenleichtem Wohlstand“ festhält, wird als Gutmensch belächelt. Die Hartnäckigen werden dann um so aggressiver bekämpft, je größer das schlechte Gewissen ist, „das solche geistige Kapitulation produziert“, kommentierte Hermann Scheer, das energiepolitische Schlachtross der SPD, den Feldzug der deutschen Neokons gegen Windkraft und Dosenpfand.

Allein die Hoffnung, das ganze Öko-Gedöns sei letztlich doch nur eine politische Mode gewesen, wird sich nicht erfüllen. Der Katastrophismus der Umweltbewegung war lediglich falsch getimed. 1973 formulierte Hans Magnus Enzensberger im „Kursbuch“ die zentrale Hypothese der frühen Ökos: „Die industrialisierten Gesellschaften der Erde produzieren ökologische Widersprüche, die in absehbarer Zeit zu ihrem eigenen Zusammenbruch führen müssen.“ Den Zeitpunkt konnte freilich niemand benennen. Heute wissen wir mehr, nur macht das die Sache nicht leichter. Zwei Drittel der Ökosysteme, von denen die Menschheit abhängt, von den Fischgründen bis zur Abgasdeponie Atmosphäre, „befinden sich im Niedergang“, urteilt das von Kofi Annan berufene globale Wissenschaftlergremium des „Millenium Ecosystem Assessment“. Dahinter steht in erster Linie der Aufstieg der Mittelschichten in den Schwellenländern in die globale Verbraucherklasse. So schickt sich derzeit rund eine Milliarde Menschen an, den Ressourcenverbrauch mal eben zu verdoppeln. Allein in China sind so die Emissionen von Treibhausgasen im vergangenen Jahr um die gleiche Menge gestiegen, die in Deutschland insgesamt anfällt.

Vor diesem Hintergrund erscheinen alle Öko-Erfolge als bloße Kosmetik. Selbst die rot-grüne Windkraftoffensive hat bisher nur den Verbrauchszuwachs beim Strom ausgleichen können. Von einem Lebensstil, der auch für acht Milliarden Menschen tragfähig wäre, sind wir so weit entfernt wie je. Zugleich hat der befürchtete „Zusammenbruch“ längst begonnen. Der Verlust der Grundwasserreserven, die Ausbreitung der Wüsten, die Flut- und Sturmkatastrophen treffen bislang jedoch vornehmlich diejenigen, denen es an Mitteln mangelt, sich zu schützen und Alternativen zu kaufen. Das nährt die heimliche, aber verbreitete Hoffnung in den Wohlstandsländern, die ökologischen Krisen der Zukunft schon irgendwie technisch bewältigen zu können. Zwangsläufig scheiterte eine weitsichtige Umweltpolitik darum bisher spätestens beim Massenspielzeug Auto oder den Spaßtrips der Billigflieger.

Misst man die Umweltpolitik an diesen Widerständen, wurde gleichwohl viel erreicht. Klima- und Artenschutz sind fester Bestandteil der Weltpolitik. In der Energietechnik, bei der Agrarproduktion, sogar beim Automobil stehen die Technologien für Ökotopia längst bereit. Den Europäern gelang sogar ein politischer Durchbruch, dessen revolutionäre Bedeutung sich erst noch herumsprechen muss. Mit der Einführung von begrenzten, kontinuierlich abnehmenden Emissionslizenzen für Treibhausgase verfügen die Regierungen über ein Instrument, von dem Ökologen jahrzehntelang nur geträumt haben. Nun kann die Politik erzwingen, dass Naturverbrauch bezahlt werden muss. So kann sie ohne einen Euro Subvention über den Markt die ganze Kreativität der weltweiten Ingenieurskunst gegen die Verschwendung mobilisieren.

Die große Zeit der Umweltpolitik steht erst noch bevor. Auch wenn das für Deutschlands Wahlstrategen im Jahr 2005 keine Rolle spielt.

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