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Kultur: Wagenburgmentalität

Arnulf Conradi berät die Hamburger Anteilseigner

Herr Conradi, Sie beraten die beiden neuen Anteilseigner des Suhrkamp Verlags, die Hamburger Kaufleute Claus Grossner und Hans Barlach. Welche Position besetzen Sie in der Schweizer Medienholding Winterthur Aktiengesellschaft?

Gar keine. Als die beiden sich anschickten, von Andreas Reinharts Volkart Holding AG die Anteile zu übernehmen, bat mich Claus Grossner, den ich seit 20 Jahren kenne, tätig zu werden. Ich habe weder einen Vertrag noch verdiene ich Geld damit oder will jemals einen Posten bei Suhrkamp besetzen – ich mache das auf freundschaftlicher Basis.

Beraten Sie die Winterthur AG ganz allgemein in Medienangelegenheiten?

Nein, meine Ratschläge erstrecken sich nur auf den Suhrkamp Verlag in Deutschland und der Schweiz.

Sowohl in der Verlagsholding, wo Grossner und Barlach 45 Prozent der Anteile halten, wie im Verlag selbst, an dem sie mit 29 Prozent beteiligt sind, ist der Einfluss begrenzt. Warum verweigert die Verlegerin und Mehrheitsgesellschafterin Ulla Unseld-Berkéwicz jedes Gespräch und will den Einstieg der Winterthur AG um jeden Preis verhindern?

Ich glaube, dass der jetzigen Geschäftsführung in Frankfurt der Einblick von neuen Gesellschaftern unangenehm ist. Was Programm und Personal angeht, ist der Einfluss tatsächlich gering. Es gibt allerdings, wie Ihnen jeder Anwalt bestätigen kann, weitreichende Rechte auch der Minderheitsgesellschafter. Die Bilanzen müssen offen gelegt werden.

Mit welcher Wartezeit rechnen Sie angesichts der juristischen Streitigkeiten, bis Sie Einblick nehmen können?

Das ist ein schnell durchsetzbares Recht von Minderheitsgesellschaftern. Das wird Anfang des neuen Jahres geschehen.

Können Sie sich vorstellen, dass sich Ulla Berkéwicz auch vor Ihnen als erfahrenem Ex-Verleger des Berlin Verlages fürchtet?

Ich glaube nicht, dass sie sich vor mir fürchtet. Es geht ja auch gar nicht um das Programm. Da haben wir kaum einen Einfluss. Entscheidend im Moment ist es, Einblick in die Bilanzen der letzten Jahre zu bekommen und zu verstehen, was im Verlag finanziell vor sich gegangen ist.

Die Situation ist mittlerweile bis zu mehr oder weniger offenen Rücktrittsempfehlungen an Ulla Berkéwicz eskaliert. Musste es so weit kommen?

Diese Wagenburgmentalität ist ja von Frankfurt ausgegangen. Die neue Aktionärsstruktur in Winterthur wurde sofort angezweifelt – Verdachtsmomente, die man bei einem Blick in die Verträge sofort hätte ausräumen können. Dass Claus Grossner und Hans Barlach sich gegen die seitenlangen öffentlichen Erklärungen aus Frankfurt jetzt wehren, finde ich verständlich. Dies sind definitiv Leute, die ihre Rechte wahrnehmen werden.

Wer ins Verlagsgeschäft investiert, hat nicht nur kulturelle, sondern auch ökonomische Interessen. Gibt es nicht Lukrativeres, als sich am Suhrkamp Verlag zu beteiligen?

Natürlich. Das beleuchtet aber auch die Haltung der beiden Hamburger Kaufleute: Beide haben mit ihrer Lebensarbeit nachgewiesen, dass sie ein hohes kulturelles Interesse haben. Anders ist dieses Engagement, das ja nicht ohne Risiko ist, nicht zu verstehen. Das Interesse der beiden ist nur zu erklären aus der kulturellen Bedeutung des Suhrkamp Verlages.

Verstehen Sie die Sorge, Suhrkamp als einen der letzten konzernunabhängigen Verlage vor Renditeinteressen zu schützen?

Aus dem eben Gesagten ergibt sich schon, dass Claus Grossner und Hans Barlach in keiner Weise daran interessiert sind, das Profil von Suhrkamp an dasjenige von Konzernverlagen anzugleichen. Sie bewundern die kulturelle Leistung des Suhrkamp Verlages, und sie wollen ihn in der jetzigen Struktur erhalten – mit der Bedeutung, die er bis vor wenigen Jahren hatte, aber zusehends verliert.

Haben Sie die Hoffnung, dass nach einer juristischen Entscheidung Frieden in die Angelegenheit einkehren wird?

Ich hoffe es. Aber um ehrlich zu sein: Mir fehlt der Glaube.

Das Gespräch führte Gregor Dotzauer.

Arnulf Conradi, 62, Literaturwissenschaftler, 1983-93 Cheflektor und später Programmgeschäftsführer des S. Fischer Verlags, 1993 Gründer und bis 2005 Leiter des Berlin Verlags

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