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Kultur: Wagner, reloaded

Das neue Berliner Staatsballett tanzt Maurice Béjarts „Ring um den Ring“

Als sich nach fast fünf Stunden letzte Bühnennebelschwaden und ParsifalKlänge verzogen haben, donnert der Jubel auf. Rauschen Ovationen auf, natürlich. Maurice Béjart steht auf der Bühne der Deutschen Oper, zurückgekehrt nach Berlin, wo er vor beinahe fünf Jahrzehnten seine ersten großen Erfolge als Choreograf feierte. Dass er der Stadt immer wieder seine Aufmerksamkeit schenkte, hier gastierte und inszenierte, vergisst man Béjart nicht. Jetzt hat er noch einmal die Neueinstudierung seines gigantischen Tanzabenteuers „Ring um den Ring“ für das Staatsballett überwacht. Eine Kraftleistung für das neu formierte Hauptstadt-Tanzkombinat unter den schützenden Fittichen einer lebenden Legende. Wer wollte dem 77-Jährigen in seiner schwarzen asiatischen Seidenjacke dafür nicht die Ehre erweisen! Der letzte Samurai verneigt sich – und der Saal steht.

Es war zweifellos ein Coup von Staatsballett-Chef Vladimir Malakhov, Béjart zu einer Neuauflage seiner Wagner-Paraphrase an dem Haus zu bewegen, wo sie 1990 ihre Uraufführung erlebte – zunächst von Bejarts Compagnie getanzt, später von Tänzern des damaligen Balletts der Deutschen Oper übernommen. Mit einem Revival des „Ring um den Ring“ signalisiert das noch traditionslose Staatsballett dem Berliner Ballettpublikum Kontinuität – und stilisiert sich zugleich als Hüter von Bejarts opus magnum zu einer Compagnie von Gralsrittern. Es schwenkt einen Ring aus Weihrauch um seine 88 Tänzer, die noch zu einem Ensemble zusammen wachsen müssen. Hinter einer solchen künstlerischen Firewall kann es einsam werden.

Eine instinktive Freude des Wiedersehens kann den Blick nicht trüben: Der „Ring um den Ring“ mag Béjarts in Dimensionen größtes, aber sicher nicht sein künstlerisch ultimatives Werk sein. Auf Wagners Wahn vom Gesamtkunstwerk, das keinen Anfang und kein Ende mehr kennt, antwortet Béjart mit seinen spectacles totales. Darin heftet er besessen Musik, Literatur, Philosophie, Schauspiel und auch Tanz zusammen, eine Technik, die gerade im „Ring und den Ring“ zu choreografischem stop and go führt.

Der Abend quält sich mit langen Nacherzählungen, wo er doch psychologische Studie sein will, mit gestischem Mimikry zu Wagner vom Band, wo der Tanz an Orte eilen könnte, die diese Musik ohne Körper nicht erreichen kann. Dazu kommt das Bröckeln ehemaliger Aktivposten: Elizabeth Cooper am Klavier hat viel von ihrer Bühnenpräsenz und musikalischen Treffsicherheit eingebüßt, Michael Denard zerkrächzt als Erzähler Wagners Verse. Manches erscheint als Parodie, die Béjart, dem Herrn der Ringe, hier so gänzlich fern liegt.

Und doch gibt es Momente, in denen sich der Tanz befreit von der Fron der Wagnerei – und dann leuchtet es auf, das Staatsballett. Nadja Saidakova durchlebt als Brünnhilde eine ergreifende Metamorphose vom alerten Walküren-Geschöpf über eine schmerzvoll zärtliche Tochter bis hin zur in Trauer erstarkten Frau. Eine große Darstellerin. Auch ein grausames Jeansfetzen-Kostüm kann Polina Semionova nicht davon abhalten, sich in eine herrlich erblühende Sieglinde zu verwandeln. Und eine entwaffnenderes Porträt des jungen Siegfried als das von Marian Walter kann man sich nicht denken. Malhakov selbst tanzt als Loge einen eleganten Schwelbrand, irrlichtert zwischen Gustaf Gründgens und Fred Astaire umher.

In jeder Sekunde könnte er den großen Weltenbrand entfachen – wenn man ihn nur ließe. Der Saal steht. Er musste sehr lange sitzen.

Wieder am 6., 9. und 17. November

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