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Kultur: Wahrheitsliebe über alles

Großes Thema: die Selbstheilung Südafrikas durch die öffentliche Konfrontation der Apartheid-Täter mit ihren Opfern. Nur interessiert sich John Boorman in seinem Wettbewerbsfilm „Country of My Skull“ wirklich dafür?

Wenn das Substantiv nicht aus einer anderen Welt stammte: Man müsste „Country of My Skull“ fast ein filmisches Verbrechen nennen. Oder wie sonst soll man es bezeichnen, wenn ein Regisseur sich fürs große Publikumskino ein sehr großes Thema erstmals greift – und es so unglaublich vergeigt, dass sich so schnell niemand mehr an einen Stoff wagen dürfte, der doch packender kaum denkbar ist?

John Boormans Stoff: die unermessliche Blutschuld des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Und das schmerzhafte gesellschaftliche Experiment, diese Schuld durch öffentliche Gegenüberstellung von Tätern und Opfern zu sühnen – in dieser Dimension damals ein weltweit erstmaliges Unterfangen. Die letzte Apartheid-Regierung hatte den Handel „Amnestie gegen Schuldeingeständnis“ mit Nelson Mandelas ANC vereinbart, und über 20000 Opfer haben in den späten Neunziger Jahren ihre Qual in der „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“ vor ihren ehemaligen Folterern (oder den Todesfolterern ihrer nahen Verwandten) in Worte gefasst.

Das Ziel: weder Siegerjustiz noch kollektives Verdrängen. Nicht Gerichtsurteile, sondern die Konfrontation zwischen individuell Betroffenen in einem Versammlungsraum. Keine rächende, äußerliche Strafe, sondern – im besten Fall – läuternde Scham. Und vor allem: Versöhnung. Groß war die Idee, sich durch diese neuartige Vergangenheitsbewältigung ein gemeinsames Bewusstsein und eine gemeinsame Lebensgrundlage für den neu geordneten Staat zu erschließen, aus dem Schmerz heraus und über den Schmerz hinaus. Und sie funktioniert, zumindest im Grundsatz, bis heute: Das peinigende Selbstreinigungsritual Südafrikas, das mit der Wahrheitskommission Geschichte gemacht hat, gilt als Lösungsmodell für manche Krisenherde unserer zerschundenen Welt.

John Boorman, einst Dokumentarfilmer bei der BBC, ist auf die Selbstheilung dieser Gesellschaft durch ein Buch der Afrikaans-Dichterin Antjie Krog aufmerksam geworden, die die Anhörungen von 1996 bis 1998 für nationale Medien dokumentierte. Auf die Fülle der bewegenden Schicksale aber, die dort geschildert sind, hat er nicht allein vertraut, sondern, wie das im Mainstream üblich ist, zwei Identifikationsfiguren fürs große Publikum eingeschleust. Also treten auf: Samuel L. Jackson als nach Südafrika entsandter „Washington Post“-Reporter Langston Whitfield und Juliette Binoche als Anna Molan, eine filmische Wiedergängerin eben jener Antjie Krog. Erst geht es schwarz gegen weiß: Man lernt sich bei den Kommissionsanhörungen kennen, und Anna kämpft gegen das forsche Auftreten des US-amerikanischen Reporters, der auf Spaltung statt auf Versöhnung setzt. Dann aber muss die Liebe her. Fortan funktionieren der gesellschaftliche Versöhnungs- und der individuelle Verliebungsprozess in zunehmend nervtötender Analogie.

Auch für das Gebot der Wahrheitsfindung findet der Film zunehmend mechanistische Lösungen. „Die Wahrheit wird uns frei machen“ – so heißt es in der Bibel, so lautet das Motto der Wahrheitskommission, und so hat es auch privat zuzugehen. Also muss, da Reporter Langston und Reporterin Anna mit der gemächlichen sexuellen Annäherung irgendwann zwangsläufig ihre jeweiligen Ehepartner hintergehen, bald die individuelle Beichte her. Über den Nutzen der völligen Geheimnislosigkeit im Eheleben darf man getrost verschiedener Meinung sein – John Boormans Dramaturgie verleitet allerdings dazu, das ehe-moralische Vergehen mit der ansonsten immer wieder verhandelten Folter zum Tode praktisch gleichzusetzen. Nebenbei: Dass durch die Rückkehr ins Ehebettchen bei Boorman wieder hübsch weiß neben weiß und schwarz neben schwarz zu liegen kommen, dürfte zumindest den konservativen Zuschauern nicht nur in Amerika gefallen. Ein kleiner Trost für Grenzüberschreiter bleibt insofern, als Binoche ihrem schwarzen Lover zum Abschied zuraunen darf: „Meine Haut wird dich nie vergessen.“

Zu diesem Zeitpunkt allerdings hat der Film längst auch anderweitig jeden Kredit verspielt. Immer wieder sind vor allem die schwarzen Massenszenen mit einem seltsam begütigenden „Onkel-Toms-Hütte“-Blick erfasst, den man fast schon wieder rassistisch nennen könnte. Und mit einem immer lustigen schwarzen Tontechniker als Anstandswauwau (Menzi Ngubane) und einem immer garstigen weißen Folterer (Brendan Gleeson) werden die Stereotypen weiter auf die Spitze getrieben.

Dass nicht nur die Nebenfiguren in diesem Film ganz auf ihre Funktion als Ideenträger reduziert bleiben, ahnt man von Anfang an. Das allein wäre noch hinzunehmen. Viel schwerer wiegt, dass das Drehbuch sich offenbar zwischen den erschütternden Zeugenaussagen vor der Kommission und der seichten Love Story nicht entscheiden mag. Also fragt sich der Zuschauer bald konsterniert, hineingenötigt in diese irgendwann obszön anmutende Bilderschaukelei: Was illustriert hier eigentlich was?

Mag ja sein, dass Boorman die Liebesgeschichte nur als Vehikel benutzen wollte, um im Kino auf das bewegende gesellschaftliche Experiment der Wahrheitskommission aufmerksam zu machen. Nur: Die Summe von „Country of My Skull“ deutet eher auf eine Love Story hin, die die Greueltaten Südafrikas bloß als hübsch gruselige Fototapete fürs ansonsten Sentimentale benutzt. Real verbürgte Qual, immer wieder eingeblendet als Kulisse eines erfundenen Romänzchens: Das ist unverzeihlich.

Heute 12 und 18.30 Uhr (Royal), 22.30 Uhr (International), 15. Februar 12.30 Uhr (Berlinale-Palast)

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