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Kultur: Wanderungen in der Mark Wallinger

Zwei Arbeiten über das Verhältnis von Raum und Zeit: eine englisch-holländische Begegnung in der Galerie Carlier/Gebauer

Was macht ein Engländer, für den die Konstruktion der britischen Identität zentrales Motiv seines Schaffens war, in Berlin? Er beruft sich auf seinen Namen: Mark Wallinger lässt sich auf Deutsch wie auf Englisch gleichermaßen aussprechen. Seit seinem DAADStipendium 2001 lebt Wallinger in Berlin. Hier hat sich der 44-Jährige ausnahmsweise einmal mit einer deutschen Problematik beschäftigt. In der Galerie Carlier/Gebauer prangt sein Name auf einem hierzulande üblichen gelben „Ortseingangsschild“ mitten im Raum. „Mark Wallinger“, das klingt wie Mark Brandenburg. Die Rückseite des Schildes ist mit einem roten Balken durchgestrichen, und fungiert als „Ortsausgangsschild“.

Beiderseitig des Schildes hängen drei Meter breite Farbfotos an den Wänden, die Wallinger von vorbeifahrenden Autos auf der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam aufgenommen hat: Auf der einen Seite fährt das Auto Richtung „Mark Wallinger“ auf der anderen kommt es von dort. Vielleicht mag noch irritieren, dass besagter Ort im Grunde nichts weiter als ein transitorischer Zustand ist. Denn „Mark Wallinger“ existiert ja nur in der imaginären Zone, zwischen Ortsein- und Ortsausgang, die realerweise zwischen Vorder- und Rückseite des Schildes ins Nichts fällt. Mit größerem Erstaunen aber hört man Wallingers eigenen Kommentar zu der „Spacetime“ betitelten Arbeit (Preis auf Anfrage): Raum und Zeit sollen als Einheit erfahren werden, Ein- und Ausgang des ausgeschilderten Ortes seien „die Zeit, die es braucht, einen Film zu belichten“, die beiden Autos überquerten die Trennlinie „zeitgleich“, könnten sie Lichtgeschwindigkeit erreichen, würden sie verschwinden – außerhalb britischer Gefilde scheint Wallinger sich zu fühlen, als sei er nicht mehr von dieser Welt.

Aernout Miks Videoarbeit „pulverous“ steht in keinem direkten Zusammenhang zu Wallinger, baut aber so etwas wie ein Paralleluniversum auf. Denn wenn Wallingers Arbeit formal buchstäblich etwas flach ausfällt, hat sie doch den Vorteil, ein Leitmotiv anzuschlagen: Tatsächlich geht es beiden um die so allumfassende wie problematische Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Raum. Miks unter Einsatz von drei Beamern im Panoramaformat von knapp sieben Metern Breite projiziertes Video zeigt die für das Theater klassische Einheit von Raum, Zeit und Handlung: In einem Supermarkt machen sich eine Reihe von Leuten daran, alles nur Greifbare buchstäblich zu pulverisieren.

Sämtliche Waren aus den Regalen werden aufgerissen und zerkleinert, ja selbst die steinernen Zwischenwände des Raums fallen unter den Schlägen einiger Männer. Frauen zerbröseln Reiswaffeln, zertreten noch deren letzte Reste mit dem Fuß zu Staub, andere zerreißen Klopapier in winzige Schnipsel und sammeln das Ergebnis sorgfältig in kleinen Haufen. Sämtliche Personen agieren dabei ohne jede Hast und Aggression.

Der schnittlose, 20-minütige Video-Loop (50 000 Euro) lullt den Zuschauer mit seiner gleitenden Kamerafahrt geradezu ein, obwohl oder weil er ohne Ton auskommt. So wird der Betrachter miteinbezogen, wandert zwischen den Menschen umher, beobachtet das Geschehen. Zwar tun alle das Gleiche, aber jeder auf seine individuelle Art. Der begrenzte Raum des Supermarktes – natürlich hat Mik die Szenerie wie immer im Studio mit Schauspielern inszeniert – verwandelt die Akteure in eine soziale Gruppe. Die Menschen werden zu einer fremden Spezies, deren ungewöhnliches Verhalten unter der Observation der Kamera plötzlich unter völlig veränderten Prämissen zum Alltag erscheint. Denn die absurde Tätigkeit des Pulverisierens lenkt das Augenmerk auf die ästhetische Dimension, in der jedes Individuum die gleiche Rolle ausfüllt.

Und so hat man am Schluss mit Mik den denkbar größten Gegensatz zu Wallinger: Hier das Individuelle, welches das Ästhetische erst hervorbringt, bei Wallinger aber das Ästhetische, welches für das Verschwinden der individuellen Subjektkonstruktion einstehen muss.

Carlier/Gebauer, Holzmarktstraße 15–18; bis 28. Juni; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr.

Ronald Berg

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