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Kultur: Warme Heimat

Ute Baduras Dokumentarfilm „Schlesiens wilder Westen“ über Deutsche im Osten ist ein bisschen zu nostalgisch, um klug zu sein

Der Beifall war stürmisch, als unlängst in der Akademie der Künste der neue Film der Dokumentarfilmerin Ute Badura seine Vorab-Premiere feierte. Die Freude lässt sich verstehen. Schließlich ist „Schlesiens Wilder Westen“ ein schöner Film. Doch solch enthusiastischen Überschwang kann filmische Qualität allein nicht begründen. Eher schon könnte im Stoff die Erklärung liegen: Denn Ute Badura wagt sich an ein lange Zeit verdrängtes und emotionsbeladenes Thema, die kriegsbedingten Umsiedlungsaktionen und Flüchtlingsbewegungen in und aus dem europäischen Osten, die hierzulande von Berufs-Veteranenverbänden jahrzehntelang als Vertreibung monopolisiert wurden.

Die Landschaft um das Dörfchen Kopaniec ist grün und hügelig, die Häuser sind ärmlich und heruntergekommen, manche stehen auch gar nicht mehr. Wer hier wohnt, der lebt notgedrungen heimatverbunden, auch weil es für ein Fortkommen gar nicht reicht. Anders die schlesiendeutschen Heimweh- Touristen, die einmal im Jahr mit dem Reisebus in ihr ehemaliges Seifershau einfallen und Verbrüderung betreiben. Vorher haben sie sich mit Prösterchen, patriotischen Ansprachen und rührseligen Liedern für die sentimentale Reise gestärkt. Richtig unsympathisch sind sie nicht, unheimlich aber schon – in ihrer Mischung aus Wehleidigkeit und noterzwungener Jovialität. Und auch die Polen, die früher den Deutschen noch böse Sprüche hinterherriefen, haben begriffen, dass es sich mit den reichen Nachbarn besser in Freundschaft leben lässt als im Groll. Schließlich haben die meisten selbst eine Geschichte der Vertreibung hinter sich, kamen ursprünglich aus dem damaligen polnischen Osten, der jetzigen Ukraine oder Weißrussland, manche auch direkt aus der sibirischen Deportation.

Einen Heimatfilm nennt Ute Badura „Schlesiens wilder Westen“. Ironisch ist das nicht gemeint. Und es lässt an „Kalte Heimat“ von Volker Koepp denken, der sich 1995 wohl als erster aufmachte, um sich umzusehen, wer und wie es sich im ehemaligen deutschen Osten wirklich lebt. Koepp fand ein Ostpreußen voller Vertriebener, displaced persons, die sich mit der neuen Situation arrangiert hatten; und er definiert den überlieferten Begriff von Heimat neu, indem er ihn im Hier und Jetzt plaziert. Ute Baduras schlesisches Dorf dagegen ist inszeniert als romantischer Ort von Verlust und Sehnsucht: Der Heimatbegriff der Schlesiendeutschen entspringt so unvermittelter Projektion verlorener Kinderzeiten vom lebenszeitlichen auf ein geografisches Terrain, wie sie wohl nur Emigranten möglich ist. Der Film nimmt die sentimentale Stimmungslage bereitwillig auf und gibt ihr in langen Kamerafahrten und musikalischen Motiven ein Echo.

Bislang einen Film hat die Kamerafrau Ute Badura als Regisseurin realisiert: „Kinderland ist abgebrannt“ (1998, mit Sibylle Tiedemann), eine Dokumentation auf den Spuren der NS-Vergangenheit von Ulm. Schon dort fiel die Diskrepanz zwischen Aufklärungswillen und Rücksichtnahme auf – eine Haltung, die Konflikte vermeidet, statt sie analytisch anzugehen. Auch „Schlesiens Wilder Westen“ leidet am Unwillen zur Beschäftigung mit wirklich unangenehmen Fragen. So bleibt die Nazizeit, in der viele der Protagonisten entscheidende Jugendjahre verbracht haben müssen, gänzlich ausgespart. Es gibt nur Opfer. Und da sich Deutsche und ansässige Polen im gemeinsamen Opfer-Schicksal so gut verstehen, gehen die Schuldzuweisungen nach draußen: An die Politiker, die Ukrainer oder Kriegsgewinnler aus der Stadt.

Versöhnung ist wichtig. Doch Nostalgie heilt nicht. Und Geschichte lässt sich kaum verstehen, wenn sie auf die persönliche Erfahrung reduziert wird. Dieser Film dürfte eine Reihe ähnlicher Projekte einleiten, vor allem aus der noch jüngeren, der sogenannten dritten Generation. Wünschen wir uns, dass irgendwann auch ein paar richtig bösartige dabei sind.

Hackesche Höfe, Filmbühne am Steinplatz

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