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Kultur: Warten auf den Fensterputzer

Chicago, Mies und die Folgen: Sarah Morris zeigt Bilder und Filme bei Capitain Petzel

In China ist sie bei den Vorbereitungen ihres Olympia-Films „Beijing“ fast verzweifelt an der Bürokratie und den unklaren Hierarchien: „Da sagt jemand ,Ja‘ und meint ‚Nein‘, oder er sagt ‚Ja‘ und ist überhaupt nicht zuständig.“ Für die aktuellen deutschen Nöte mit der Ausstellung „Der Kunst der Aufklärung“ und der Verhaftung von Ai Weiwei hat Sarah Morris daher nur ein verächtliches Schnauben übrig. „Fragen Sie doch mal Rem Koolhaas zu diesem Thema“. Koolhaas’ Büro OMA hat in Peking die Zentrale des chinesischen Fernsehens CCTV gebaut. Kooperation war da offenbar kein Problem.

Natürlich stecken Architekten in ganz anderen ökonomischen Zwängen als Künstler, das weiß auch Sarah Morris, die sich in ihren Arbeiten oft mit Architektur beschäftigt hat. Aber dass die „FAZ“ ausgerechnet ihr anlässlich des „Beijing“-Films 2009 eine unpolitische Haltung vorwarf, ärgert sie dann doch. „Künstler sind keine Journalisten“, ruft die Künstlerin, die neben ihren abstrakt-strukturellen Bildern immer wieder auch Filme vor allem über amerikanische Städte dreht. In „Beijing“ befasst sie sich mit Fragen von nationaler Repräsentation und Szenarien des möglichen Scheiterns, mit Öffentlichkeit und Privatheit. Als Ai Weiwei das Werk vor einiger Zeit in Südkorea sah, war er tief bewegt.

In Berlin stellt Sarah Morris bei Capitain Petzel nun ihre neueste Serie von Bildern vor, die von Chicago und der Architektur des John Hancock Centers inspiriert wurden. Parallel läuft in der Galerie an der Karl-Marx-Allee „Points on a line“, ein 30-minütiger Film von 2010 über Mies van der Rohe und Philip Johnson. Und am Samstag feiert im Babylon Mitte Morris’ neuer Film „Chicago“ Weltpremiere. Natürlich sind auch diese Arbeiten wieder politisch, in dem Sinne, dass sie sich mit künstlerischen Mitteln politischer Themen annehmen. „Chicago“ dreht sich um die berühmte Architekturgeschichte der Stadt, die mit Mies van der Rohe und seinem Illinois Institute of Technology verbunden ist. Es geht um den Niedergang des amerikanischen Zeitungswesens, um den „Meat District“, den Upton Sinclair in „The Jungle“ verewigte, um Wissenschaftsgeschichte im Teilchenphysik-Forschungszentrum von Fermilab und um das Scheitern eines amerikanischen Glücks- und Wohlstandsversprechens, für das John Hancock mit seiner Lebensversicherung steht. „Der ganze Film dreht sich um das Bild von Amerikas Zukunft, das wir hatten und das nun nur noch als vergangene Möglichkeitsform existiert“, erklärt die Künstlerin.

Der Mensch in der Stadt, das ist seit jeher Sarah Morris’ Thema, auch wenn in ihren Bildern und Filmen kaum je Menschen zu sehen sind. Das John Hancock Center in Chicago interessierte sie vor allem, weil es als Amerikas erstes Mehrzweckhochhaus Büros und Wohnungen gleichermaßen beherbergt. Auch in dem Film „Points on a line“ geht es um den Menschen und darum, wie er wohnt. Im Zentrum stehen die berühmten Häuser Farnsworth House und Glass House, die Mies van der Rohe und Philip Johnson als gläserne, von allen Seiten einsehbare Kisten in weite Parklandschaften bauten: Mehr Vitrinen als Wohnbauten, Utopien eines Lebens im Einklang mit der Natur, die gleichzeitig etwas zutiefst Inhumanes haben. „Es ist, als ob in diesen Häusern zu wenig Sauerstoff vorhanden sei“, findet Sarah Morris, die dieses Lebensmodell gleichzeitig fasziniert und abstößt. Nicht umsonst zeigt sie in „Points on a line“ ausführlich, wie ein Fensterputzteam die endlosen Glasflächen der Häuser säubert. Wohnen in splendid isolation geht nicht ohne das nötige Personal. Und auch ein Wischmopp zieht höchst dekorative Kreise.

Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45,

bis 30.7., Di.–Sa. 11–18 Uhr. Eröffnung:

Fr. 29.4., 16–21 Uhr. „Chicago“: Sa. 30.4.,

18 Uhr, Babylon Mitte

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