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Kultur: Warten und landen

In der Löwengrube: Gestern Abend eröffneten die 61. Filmfestspiele Venedig mit Steven Spielbergs „The Terminal“

Sie brüllen nicht, die Löwen, aber ordentlich grimmig sehen sie schon aus. Zähnefletschend thronen die 60 blattgoldüberzogenen Kunstharzgeschöpfe auf drei nach hinten ansteigenden Säulenreihen vor dem Palazzo del Cinema, und ihre fabelwesenhaft ausgebreiteten Flügel lassen sie gleich noch ein bisschen unheimlicher erscheinen.

Dante Ferretti, Ausstatter großer Pasolini-, Fellini-und Scorsese-Filme, hat die stramme Leibgarde venezianischer Wappentiere zu Ehren von 60 bereits verflossenen Filmfestival-Jahrgängen entworfen, und zumindest gemischte Gefühle löst sie allenthalben aus. Wenn die Plexiglas-Stelen abends inwendig rotglühend erstrahlen und die lebensgroßen Löwen obenauf wie zum Flug ansetzen, noch dazu vor den Lichtspielen der per Breitleinwand komplett verkleideten Palazzo-Fassade, nimmt einen das Spektakel als pures Kino gefangen. Tagsüber dagegen wirkt die massive Manege reichlich profan: wie ein grotesker Raubtier-Cancan vom Zirkus Mussolini.

Gaga oder genial, teuer ist die Sache allemal. Und schürt Verdruss vor allem in den örtlichen Medien, die gallig wie selten in das große Glamour-Ereignis des Herbstes einsteigen. Satte 800 000 Euro fürs Mentale und Materielle plus 200000 für die Montage der pompösen Palastparade, mithin eine hübsche Million bei einem Gesamt-Etat von nur 6 Millionen, Sponsorengelder inklusive – musste das sein? Zumal hier offenbar Biennale-Präsident Davide Croff und Filmfestchef Marco Müller, der neue König der Löwen, ganz ohne Rücksprache mit mancherlei Gremien entschieden hatten.

Schäumend dann die Proteste am gestrigen Eröffnungstag selbst: Da käme zwar Kulturminister Urbani, der letztes Jahr dem Festival ferngeblieben war, nebst weiteren sechs Ministern plus Delegationen zur Gala-Premiere, zu schweigen von Quentin Tarantino und Scarlett Johansson, John Travolta, Meryl Streep und Denzel Washington bis zu Tom Hanks und Steven Spielberg und und und – doch ach, deshalb mussten so manche venezianischen Honoratioren draußen bleiben.

Schlechte Laune, giftige Telefonate allerorten, da ist auch Moritz de Hadeln, einst Berlinale-Chef und Festspielleiter der letzten beiden Jahrgänge am Lido, nicht fern. Nicht nur, dass auch er nicht eingeladen worden sei (was die Biennale sogleich dementierte); auch das Programm seines Nachfolgers, ließ er die italienischen Medien wissen, sei alles andere als brillant. Wie könne sich Müller mit Weltpremieren brüsten, wenn er die außer Konkurrenz gezeigten, zugkräftigen Hollywood-Filme bloß nachspiele – und das auch noch in der prominenten 19.30-Uhr-Schiene? Entwerte der große Filmkunstfreund Müller damit nicht den eigentlichen Wettbewerb?

Bei allem Echauffement: Mit Letzterem hat de Hadeln wohl Recht. Es sind Titel wie Jonathan Demmes „The Manchurian Candidate“ oder Michael Manns „Collateral“, in den USA seit Wochen im Kino, die nun in der Primetime des Festivals (und des Fernsehens) laufen, während sich der weniger starträchtige Wettbewerb mitternachtswärts versendet. 21 Filme bewerben sich um den Goldenen Löwen, der am 11. September vergeben wird, darunter Werke von Mike Leigh, François Ozon und Mira Nair. Und Wim Wenders mit „Land of Plenty“, einer Geschichte von Armut und Paranoia in Amerika nach dem „11. September“.

Keine Frage, da werden, erstmals auf einem der großen Filmkunstfestivals, Prioritäten neu gesetzt. „Die große Rückkehr Hollywoods“, jubelt der „Corriere della Sera“: Nicht nur bei der Eröffnung dominiert der Glamour-Faktor, sondern über die ganze Strecke des Ereignisses selbst. Wobei das Unverwechselbare der Mostra, die wirksame Koppelung von Rampenlicht und Risiko, von Entdeckung und Event, Schaden zu nehmen droht.

Den im Katalogvorwort beschworenen „post-televisionären Verbraucher“ jedenfalls hat Marco Müller offenbar nicht im Blick, wenn er die Regentschaft der Quote auch am Lido einführt. So gesehen, ist auch die Wahl von Steven Spielbergs „The Terminal“ zur Eröffnung konsequent: Der Film läuft seit einem Vierteljahr in Amerika und ist dort mit rund 80 Millionen Dollar Kassenergebnis ordentlich abgespielt. Und auch in Europa, wo „The Terminal“ vor seinem Kinostart (in Deutschland am 7.Oktober) seit Wochen intern gezeigt wird, ist er zumindest für die versammelte Branche keine Entdeckung mehr. Dafür macht er, zumindest am Anfang, gute Laune, und nichts braucht der Lido jetzt mehr als das.

Tom Hanks jedenfalls ist, als Viktor Navorski mit unwiderstehlich russischem Akzent und seit „Forrest Gump“ schwer vermisster köstlicher Kombination aus Begriffsstutzigkeit, Ehrbarkeit und Schläue, bestens aufgelegt. Frisch gelandet in New York, um dort ein arg rührendes Vermächtnis seines Vaters zu erfüllen, wird er indirekt Opfer soeben ausgebrochener politischer Unruhen in seiner Fantasieheimat Krakosien. Und weil für die amerikanischen Behörden Krakosien (Kaukasien?) plötzlich nicht mehr existiert, gibt es für Navorski weder eine Einreise in die USA noch ein Zurück. Pass und Flugschein werden am Flughafen kassiert – und Navorski nimmt, auf Geheiß des obersten Homeland-Security-Beamten Frank Dixon, erst mal Wohnung in der Shopping-Zone. Übrigens, Tom Hanks mag verteufelt gut sein in „The Terminal“. Aber diesen Dixon, ein verzweifelt ehrgeiziges Würstchen, dem Schmach auf Schmach widerfährt, spielt Stanley Tucci in der Form seines Lebens.

Neun geschlagene Monate bringt Navorski, der sich auf einem stillgelegten Terminal-Trakt häuslich einrichtet, auf dem Flughafen zu und wird dabei, Hollywood macht’s immer wieder möglich, vom Außenseiter zum Helden. Er bewährt sich ebenso als Maurer und Innendekorateur wie als Dolmetscher in äußerst heiklen Situationen, schließt Freundschaft mit den Multikulti-Beschäftigten von Kofferband, Küche und Putzkolonne, stiftet sogar eine Ehe – und verliebt sich geradezu unsterblich diskret in eine schöne Stewardess (Catherine ZetaJones). Eine gute Kinostunde lang hat das Schwung und Biss, dann allerdings nehmen die situationskomisch bedingten Mätzchen und leider auch die melanchomelodramöse Liebesschnurre überhand. Als sei ein guter Stoff nichts weiter als ein Lappen, aus dem man bloß das Äußerste an Lach- und Kullertränchen auswringen muss. Doch Vorsicht. Treibt man es zu doll damit, lenkt man den erinnernden Blick nicht auf Freude und Mitleiden, sondern, nunja, auf den Lappen.

Die „wahre Geschichte“, die der 56-jährige Spielberg und seine kreuzfidelen Drehbuchschreiber Sacha Gervasi und Jeff Nathanson ausdrücklich inspirierte, spielt bis heute auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle, Terminal 1: Nur lebt der iranische, aus seiner Biografie versprengte Iraner Karim Nasseri Mehran dort seit 16 Jahren ohne Papiere und reichlich freud- und freund- und auch sonstwie sehr zusammenhanglos (Tagesspiegel vom 31. August). Dennoch werden nur ganz Misslaunige Spielberg und seinem Dreamworks-Studio Verfälschung biografisch-historischer Tatsachen vorwerfen: Guter Stoff für Reportagen eignet sich noch lange nicht für den großen Traumfuttertrog Kino.

Aber Schluss jetzt, die Löwen werden sonst unruhig.

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