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Kultur: Warum lieben Sie die Tiefsee, Mister Hamilton-Paterson?

JAMES HAMILTON-PATERSON bezeichnet sich als einen literarischen Nachzügler. Der ehemalige Oxford-Student berichtete als Journalist aus dem Vietnamkrieg sowie aus Südostasien und Lateinamerika, bevor er mit 45 Jahren seine erste Sammlung mit Kurzgeschichten veröffentlichte.

JAMES HAMILTON-PATERSON bezeichnet sich als einen literarischen Nachzügler. Der ehemalige Oxford-Student berichtete als Journalist aus dem Vietnamkrieg sowie aus Südostasien und Lateinamerika, bevor er mit 45 Jahren seine erste Sammlung mit Kurzgeschichten veröffentlichte. Er hat bislang zehn Bücher geschrieben, von denen drei auf deutsch erschienen sind: "Wasserspiele"(1995), "Seestücke"(1997) und zuletzt "Drei Meilen tief" (alle bei Klett-Cotta). Es sind essaistische Reportagen über das Meer, die ihm den Ruf eingetragen haben, ein "Bruce Chatwin der See" zu sein. Ende der siebziger Jahre entdeckte er die philippinische Inselwelt und pendelt seither zwischen seinem italienischen Wohnsitz und dem pazifischen Archipel hin und her. Das Gespräch führte Kai Müller. Sie sind in Deutschland mit zwei Büchern bekannt geworden, James Hamilton-Paterson,"Wasserspiele" und "Seestücke". Beide handeln vom Meer. In England gibt es eine reiche Tradition an Büchern über die See und Seereisen, was angesichts unseres Jahrhunderte währenden Empire nicht überraschend ist. Viele Hunderttausende kannten die Erfahrung, zu weit entfernten Orten zu reisen, und viele erreichten sie nicht oder kehrten nie wieder zurück. Die See ist eine machtvolle Vision in der nationalen Psyche Englands. Ist der Ozean ein Ort des Ursprungs? Von einem biologischen Standpunkt aus betrachtet bestimmt. Seitdem unsere Vorfahren in der einen oder anderen Gestalt vor Jahrhunderten auf einen Strand gehüpft sind, ist der Ozean zweifellos die Geburtsstätte der menschlichen Gattung. Wir tragen noch immer verkümmerte Reste dieser Vergangenheit in uns. Säuglinge zum Beispiel atmen, wenn sie unter Wasser geboren werden, Wasser wie Fische. Aber ob es darüber hinaus eine kulturelle Verbindung gibt, ist sehr schwer zu beantworten. Wenn man berücksichtigt, daß die menschliche Gattung sich möglicherweise in Afrika entwickelt hat, so wird sie auf ihrer Wanderung früher oder später auf die See gestoßen sein. Hat diese Begegnung sich auf unser Selbstverständnis ausgewirkt? Ich befürchte, ja. Es gibt eine solche Vielzahl von Mythen und Erzählungen, die mit dem Ozean verbunden sind, daß es scheint, als würden wir uns ihm verwandt fühlen. Die See wird dennoch meist als Ort des Schreckens beschrieben. Wenn Sie die Genesis des Alten Testaments betrachten, wird Ihnen die interessante Tatsache auffallen, daß es im Garten Eden kein Wasser gibt. Die See wird nirgendwo erwähnt. Das hat in der frühen Neuzeit, besonders in protestantischen Kulturen, zu der Überzeugung geführt, daß die See ein Ort des Bösen ist. Sie kam in der ersten Szene des menschlichen Dramas nicht vor, und die Bibel erweckte den Eindruck, daß Gott das Meer nur deshalb ausgeklammert hatte, weil er es nicht hatte vollenden können. Als ein von der Schöpfung übriggelassener Teil, der von Gott nicht bezähmt worden war, wurde die See zum Ort der Monster und teuflischen Wesen: Sie war endlos, unförmig, ein tödlicher Schlund. Und diese Furcht gebahr Ungeheuer? Wenn der Mensch mit etwas Unbekanntem konfrontiert wird, bevölkert er es mit fremdartigen Ungeheuern. Das ist keine Frage romantischer Verzückung, sondern Teil menschlicher Mythenbildung. Erst die Kunst der Neuzeit hat unser Verhältnis zur See entdämonisiert. Die holländischen Maler begannen sie als Landschaft zu sehen. Seit wann verstehen wir die Tiefsee? Erst seit dem Zweiten Weltkrieg, mit dem für den U-Bootkrieg entwickelten Sonar, verfügen wir über die Technologie, um in die Tiefe hineinzusehen und zu entdecken, was sich dort befindet. Die Menschen hatten sich schon vorher in die Tiefe begeben. Man denke an William Beebe, der 1934 immerhin fast 1000 Meter in einem Tauchboot hinabsank, oder an die frühen Ozeanographen, die die "Challanger" konstruierten. Sie waren fassungslos, auf dem Meeresboden Lebewesen zu finden. Die Entdeckung von Leben in dieser Tiefe widersprach völlig ihren Vorstellungen. Was hatten sie erwartet? Eine Todeszone, aus der jegliches Leben gewichen war? Sie glaubten, daß unterhalb einer bestimmten Tiefe der Wasserdruck zu groß werden und es kein Licht mehr geben würde, um Leben zuzulassen. Man nahm an, daß Leben ohne Licht unmöglich sei. Wie entstand Ihre Begeisterung für das Meer? Mein Vater besaß eine verklärte Leidenschaft für das Meer, die sich niemals erfüllte. Er wollte Zeit seines Lebens Schiffe entwerfen. Bis zu seinem Tod hing er dieser Idee in einer Art nostalgischer Trauer nach, die unter Engländern eines bestimmten Alters sehr verbreitet ist - Menschen, die in irgendeiner Weise Teil des Empire waren. Wie mein Vater, der in China zur Welt kam, und dann zur Einschulung nach Hause geschickt wurde. Eine schreckliche Erfahrung, die von vielen englischen Autoren geteilt wird. Sie fühlten sich in einem fremden Vaterland verlassen und sehnten sich zurück. Etwas von diesem pathetischen Fernweh, das mit dem Ozean verknüpft war, übertrug sich auf mich. In "Seestücke" benutzen Sie das Bild eines ertrinkenden Fischers, der sich durch eine Unachtsamkeit plötzlich ohne Boot inmitten einer endlosen Wasserwüste befindet. Das war ich selbst. Ich machte einen schrecklichen Fehler. Ich sprang ins Wasser, irgendwo weit draußen, um mir die Fische anzusehen, und hatte das Boot mit einem Tau an meinem Fußgelenk befestigt. Aber der Knoten löste sich, ohne daß ich es bemerkte. Als ich wieder auftauchte und mich umsah, konnte ich das Boot nirgendwo entdecken. Denn es war ein polynesisches Fischerboot mit Auslegern und einem sehr niedrigen Freibord, das von den Wellen verdeckt wurde. Ich geriet in eine entsetzliche Panik. Ein furchtbarer Augenblick. Es hatte so harmlos sein sollen. Aber auf See darf man keine Risiken eingehen. In Ihrem jüngsten Buch "Drei Meilen tief" beschreiben Sie Ihre Reise mit einer russischen Tauchkapsel auf den Meeresgrund. Bedeutet die Auseinandersetzung mit den Tiefen der See eine Auseinandersetzung mit den Abgründen der eigenen Seele? Im nachhinein erhält es vielleicht den Charakter einer solchen Auseinandersetzung. Aber ich hatte das nicht beabsichtigt. Als sich mir die Möglichkeit bot, auf den Meeresgrund hinabzutauchen, wollte ich lediglich notieren und wiedergeben, wie ich diese außergewöhnliche Tauchfahrt erlebte. Ich sah eine Region der Erde, die kaum ein Mensch jemals zu Gesicht bekommt. Nachher war ich selbst überrascht, daß ich mir soviel hatte notieren können. Und daß ich soviel über meine Herkunft, Familie geschrieben hatte. Sie haben in dem engen Fahrzeug gesessen und geschrieben? Die Fahrt nach unten dauerte drei Stunden. Die Fahrt wieder hinauf noch einmal drei. Das waren sechs Stunden, in denen nicht das Geringste zu tun war - außer vielleicht den Fuß, den ich gegen die eiskalte Wandung der Stahlkugel stemmte, vor dem Erfrieren zu bewahren. Ich trug zwar einen Überlebensanzug, um mich warm zu halten, aber bei einer Außentemperatur von minus 4 Grad können siebzehn Stunden verdammt kalt werden. Haben Sie sich damit einen Kindertraum erfüllt? Ja, ich wollte immer auf den Grund sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sich heutzutage für das Meer begeistern kann, ohne vom Meeresboden angezogen zu werden. Aber ist er nicht viel zu entrückt, um etwas mit unserer Welt zu tun zu haben? Die modernen geologischen Ortungstechniken liefern vom Meeresgrund eine Menge Daten, die auch das Leben in den höheren Wasserschichten erklären. Je länger man sich mit dem Meer als einem Lebensraum beschäftigt, desto klarer wird, daß man es nicht mehr als eine Fläche betrachten kann. Leider. Als mich an Bord des russischen Forschungsschiffs "Kaldysch" die Nachricht erreichte, daß Greenpeace die Bohrplattform "Brent Spar" besetzt hatte, vertraten die mich umgebenden 50 Wissenschaftler sämtlich die Meinung, daß Greenpeace sich irre. Sie sagten, sie hätten eine Reihe von Wracks auf dem Meeresboden untersucht, aus denen Öl und Treibstoff ausgelaufen sei. Aber sie könnten sich nicht erinnern, daß der Schaden auch nur ein einziges Mal über einen Umkreis von 50 Metern hinausgereicht habe. In 95 Prozent aller Fälle werden die Schiffsreste zu Zufluchtsstätten für Meeresbewohner. Die Menschen unterschätzen die Ausmaße der See und ihre Fähigkeit, solche Vergiftungen zu bewältigen. Ist es nicht eine Frage des Prinzips? Aber natürlich. Es war eine schlimme Idee, das Meer als Müllkippe zu benutzen. Dennoch haben mich die Erfahrungen der Ozeanologen umdenken lassen. Wir haben uns durch die modernen Technologien unglücklicherweise in eine solche Misere laviert, daß nur die modernen Technologien uns da wieder herausholen können. Die "Brent Spar" war ja nur die erste von über 200 Bohrinseln, die in den nächsten Jahrzehnten entsorgt werden müssen. Wollten wir sie an Land auseinandernehmen, würde uns dieser Prozeß erhebliche Energiemengen kosten, die als Luft- und Grundwasserverschmutzung doch wieder ins Meer gelangen. Aber als Schriftsteller lieben Sie die Technik auch nicht besonders? "Brent Spar" hat mir bewußt gemacht, daß man über die See nicht länger wie ein Dichter sprechen kann. Sie ist zu einem Notfall geworden. Und ich befürchte, daß die Menschen sich mit den Grundlagen des ozeanischen Lebens vertraut machen müssen. Eines der Probleme, mit dem sich Umweltschützer ungern beschäftigen, ist die natürliche Vergiftung des Meeres durch vulkanische Schwefelquellen oder unterseeische Ölaustritte. Die Natur kann solche Verunreinigungen auffangen. Aber wir müssen herausfinden, ab wann sie es nicht mehr kann.

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