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Kultur: Was heißt hier Hase?

Shocking, diese Kiki Smith: Wer kennt sie nicht, ihre enthäutete Jungfrau Maria oder jene lebensgroßen Skulpturen mit ihren mal schleimigen mal festen Ausscheidungen aus Mund und After.Weiblicher Horror und weibliche Verletzlichkeit, das waren die Themen der frühen Skulpturen von Smith, der katholischen Amerikanerin.

Shocking, diese Kiki Smith: Wer kennt sie nicht, ihre enthäutete Jungfrau Maria oder jene lebensgroßen Skulpturen mit ihren mal schleimigen mal festen Ausscheidungen aus Mund und After.Weiblicher Horror und weibliche Verletzlichkeit, das waren die Themen der frühen Skulpturen von Smith, der katholischen Amerikanerin.Tabus kannte sie anscheinend keine.Ihr Ausdrucksmittel als Plastikerin war der metaphorisierte, der Zeichen aussendende menschliche Körper, auch wenn von ihm mitunter nur die schlappe Hülle übrigblieb, eine Art Kokon.Nun aber kommt sie uns lammfromm und kuschelig daher, mit Fotografie.

Weiße Tiere in weißer Landschaft, ein Schneehase, ein Schaf, ein weißer Fuchs, jeweils in Farbe fotografiert und anschließend ziemlich groß abgezogen (je 2500 Dollar).Die Farben sind blaß, fahl, es ist eben Winter.Darunter, wie als vertikales Diptychon, je eine fotografierte Winterlandschaft (2500 Dollar).Kahle Bäume zeichnen mit ihrem Schatten grafische Muster in den Schnee, entlaubtes Astwerk bildet filigrane Muster.Doch die Bilder wären nicht von Kiki Smith, hätte die Sache nicht einen Haken: Die Tiere, so lieblich sie zum Teil anzusehen sind, sind tot.Es handelt sich um ausgestopfte Präparate aus dem naturkundlichen Diorama.Das erklärt die etwas unwirkliche Atmosphäre, vor allem aber macht es die Szene erst plausibel, die man in ihrer Intimität schwerlich in freier Wildbahn hätte fotografieren können: Etwa der zutrauliche, fast kokett blickende Hase, wie er sich in seinem Schneebett lagert, um für die Kamera zu posieren.

Aber was heißt hier Hase? Merkwürdigerweise hat es den Anschein, als ob es sich bei den Tieren - ob Hase, Eule, Fuchs oder Hermelin - um weibliche Geschöpfe handelt.Hier ist sie wieder, die typisch Smithsche Ambivalenz von Schönheit und Opferrolle.Die Tiere sind jenen tragische Frauenfiguren und gemarterten, geköpften und durchbohrten Märtyrergestalten verwandt, wie sie die christlichen Hagiographie bereithält.Besonders augenfällig wird es beim Fuchs, der nur im Ausschnitt wiedergegeben ist und offenbar bereits blutend vom Jäger erlegt worden ist.So also steht es mit unserer Beziehung zum Tier.Unschuldig und unbefleckt sind die Tiere - das Weiß mag dafür stehen -, aber Opfer werden sie trotzdem.Sie nehmen damit die gleiche Rolle ein, die Kiki Smith in ihren frühen Arbeiten der Frau zugesprochen hatte.

Galerie M.+ R.Fricke, Linienstraße 109, bis 22.November; Dienstag bis Freitag 14-18 Uhr, Sonnabend 12-15 Uhr.

RONALD BERG

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