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Was machen wir heute?: Abschied nehmen

Die Einzigen, zu denen es sich noch nicht herumgesprochen hat, dass wir uns mitten im tiefsten Winter befinden, sind die Fruchtfliegen von Schöneberg. Kaum lasse ich meinen Multivitaminsaft mal zehn Minuten stehen, schwupps, schon laben sie sich daran.

Die Einzigen, zu denen es sich noch nicht herumgesprochen hat, dass wir uns mitten im tiefsten Winter befinden, sind die Fruchtfliegen von Schöneberg. Kaum lasse ich meinen Multivitaminsaft mal zehn Minuten stehen, schwupps, schon laben sie sich daran. Dabei brauche ich die Vitamine nötiger als die kleinen Monster.

Ich tue alles, um mich für Schnee und Eis zu wappnen. Sogar Mütze tragen, Russenmütze. Wie Kleindoofi seh ich damit aus, aber egal, Hauptsache warm. Ich kann ja nicht einfach zu Hause bleiben und es mir im Saft gemütlich machen, ich muss raus in die kalte Welt. Zum Beispiel, um Abschied zu nehmen vom Zoo-Palast. Der wird am 31. Dezember nämlich dicht gemacht für ein Jahr, um gründlich umgebaut zu werden.

Als ich West-Berlinerin wurde, vor ziemlich genau 22 Jahren, da war der Palast tatsächlich einer. Auf der Berlinale liefen die Wettbewerbsfilme hier, das war ganz großes Kino. Als ich jetzt noch mal hergekommen bin, musste ich um drei Ecken über abgetretene Teppiche laufen, um mir einen Film anzugucken, der mich schwer enttäuschte, obwohl ich die Schauspieler alle mag, allen voran Dustin Hoffman. „Meine Frau, unsere Kinder und ich“ – was für eine laue Komödie.

Ein bisschen bin ich schon ins Grübeln gekommen, so kurz vor Jahresschluss. Der Zoo-Palast ist nämlich genau mein Jahrgang. Heißt das, dass ich mich jetzt auch generalüberholen muss? Aber dann bekam ich einen Bildband in die Finger, der mich daran erinnert hat, dass Schönheit immer im Auge des Betrachters liegt. Christine Kisorsy hat das alte Kino so wunderbar fotografiert, dass selbst das, was man beim Anblick vor Ort schäbig finden könnte, der gemusterte Teppich zum Beispiel, wunderschön aussieht. Der schwere Vorhang, der an eine rosa Dauerwelle erinnert, der Sternenhimmel, der geschwungene Balkon (bitte bewahren!) – das hat doch was. Susanne Kippenberger

Zoo-Palast Berlin, Hardenbergstraße 29a. Das Buch von Christine Kisorsy, „Kino-Magie. Zoo Palast Berlin“ ist im Bertz & Fischer Verlag erschienen (17,90 Euro).

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