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Was machen wir heute?: An Grenzen denken

Sagt noch jemand Lehrter Bahnhof? Es ist erst ein paar Jahr her, dass der Protest groß war, weil der Name verschwinden sollte.

Sagt noch jemand Lehrter Bahnhof? Es ist erst ein paar Jahr her, dass der Protest groß war, weil der Name verschwinden sollte. Heute muss man beinahe einen Moment überlegen, wo dieser Bahnhof lag. In der schönen neuen Welt des Hauptbahnhofs erinnert rein gar nichts mehr an den alten Lehrter, der 1871 neu war. Folglich verblasst der Name. Unsereiner wird allerdings ewig die Ausrufe der S-Bahn-Schaffner im Ohr haben: Lehrter Bahnhof, letzter Bahnhof im Westsektor! Das war vor dem Bau der Mauer eine Warnung an Ost-Flüchtlinge, nicht aus Versehen „durchzufahren“, bis Friedrichstraße.

Für Ostler war es natürlich der erste Bahnhof im Westsektor. Ostler wie Westler fuhren ganz selbstverständlich ständig oder doch häufig hinüber und herüber. Auch unsere Freunde aus Basel, die damals DDR-Bürger waren und in Ost-Berlin studierten, sind bei Berlin-Besuchen immer hingerissen vom Hauptbahnhof, doch ihre Erinnerung gehört dem Lehrter, denn mit ihm verbinden Hans und seine Frau ein existenzielles Erlebnis.

Die beiden wollten immer fort in den Westen. Es kam der 13. August 1961, plötzlich war der Weg verbarrikadiert. Wenige Monate später lernten sie einen Ahmed kennen, der ihnen falsche Pässe besorgte. Es war eine riskante Flucht, die ihnen im Abstand von zwei Tagen mit der S-Bahn glückte. Wie oft waren sie vom Bahnhof Friedrichstraße in den Westen gefahren, aber jetzt war alles ganz anders. Gleich mehrere Kontrollen waren unter irrsinnigen Ängsten zu bestehen, und die eine Station bis zum Lehrter Bahnhof kam beiden wie eine Ewigkeit vor.

Lange her, alte Freunde erzählen sich gegenseitig gern alte Geschichten. Als sie uns neulich besuchten, wollte Christa unbedingt zum Studentendorf Schlachtensee, wo sie als FU-Studentin ein Zimmer „für Härtefälle“ bekommen hatte. Also fuhren wir hin. Ach, sie hatte es schöner und imposanter in Erinnerung. Verständlich, es war etwas ganz Besonderes, damals. So ist das eben mit der Erinnerung: Sie besonnt einfach alles. Brigitte Grunert

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