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Was machen wir heute?: Auf die Straßenbahn warten

Als in Berlin-Buch wohnender Schüler musste ich früher oft am S-Bahnhof Schönhauser umsteigen und auf die Straßenbahn ins Zentrum warten, wenn ich zum Theater wollte. Die Linien, die jahrzehntelang 22, 46 und 49 hießen, sind inzwischen umbenannt worden.

Als in Berlin-Buch wohnender Schüler musste ich früher oft am S-Bahnhof Schönhauser umsteigen und auf die Straßenbahn ins Zentrum warten, wenn ich zum Theater wollte. Die Linien, die jahrzehntelang 22, 46 und 49 hießen, sind inzwischen umbenannt worden. Alte Bahnlinienbezeichnungen gehören doch unter Denkmalschutz, niemand würde es wagen, New Yorker Subway-Linien umzubenennen, schon weil es das Duke-Ellington-Stück „Take the ,A‘ Train“ gibt.

Ich stand damals immer frierend an der Haltestelle und betrachtete aus Langeweile die antifaschistischen Gedenktafeln. Sowjetsoldaten sah man darauf, die den Deutschen nach dem Kriegsende aus den Kellern helfen (das war mir auch anders erzählt worden). Eine rote Fahne am Wasserturm. Antifaschisten beim illegalen Flugblattdruck. In mehreren Sprachen wurde der Passant ermahnt, sich an die Opfer zu erinnern. „Vous qui passez honorez la mémoire de ceux qui sont morts pourque vous puissiez vivre.“ Mit den Jahren meines Französischunterrichts verstand ich den Satz immer besser, sogar den Subjonctif. Daneben stand derselbe Satz auf Russisch, aber so lange musste ich nie auf die Bahn warten, dass ich den auch noch gelernt hätte.

Die Tafeln haben mich nicht berührt, es gab so etwas ja überall. Inzwischen freue ich mich, dass sie dort noch hängen und sogar von Graffiti gereinigt werden. Es gibt ja nicht mehr viele DDR-Embleme im Stadtbild, es sei denn in irgendwelchen T-Shirt-Läden auf der Kastanienallee.

Damals ging man immer zur Mitte der Straße, um zu sehen, ob vielleicht schon eine der alten Gotha-Bahnen aus Pankow angequietscht kam. Das muss man nicht mehr, es gibt eine Minutenanzeige für die Wartezeit. Auf Youtube fand ich einmal einen Film mit einer DDR-Straßenbahn genau an dieser Haltestelle. Vom Geräusch der sich schließenden Türen bekam ich eine Gänsehaut. Jochen Schmidt

Gedenktafel auf der Schönhauser Allee, Höhe S-Bahnhof. Das Straßenbahn-Video: http://de.youtube.com/watch?v=gPH8X57lftM

Jochen Schmidt

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