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Kultur: Was machen wir heute?: Auf Wahlkampftour radeln

Das Kind und ich sind leidenschaftliche Fahrradfahrer, wir gondeln durch die Straßen und bewundern die Fahjädder, Tohjädder und Tecker, die überall herumsausen. Der Kleine sitzt vor mir in seinem Fahrradsitz, mit einem rot gepunkteten Helm auf den Locken, und ruft in einem fort aufgeregt "da!

Das Kind und ich sind leidenschaftliche Fahrradfahrer, wir gondeln durch die Straßen und bewundern die Fahjädder, Tohjädder und Tecker, die überall herumsausen. Der Kleine sitzt vor mir in seinem Fahrradsitz, mit einem rot gepunkteten Helm auf den Locken, und ruft in einem fort aufgeregt "da! da!", um mich auf jedes altersschwache Motorrad hinzuweisen, das ich möglicherweise übersehen hätte. Sowieso hat das Kind eine stark selektive Wahrnehmung und bemerkt von all dem Schönen, was Berlin zu bieten hat, nur die Fahrzeuge und die bemalten Bären. Für Menschen hat es noch nicht viele Wörter; sein Unwissen kaschiert es mit raffinierten rhetorischen Tricks. Ein Motorradfahrer beispielsweise ist für ihn schlicht "Helm" (pars pro toto), eine nichtsahnende Passantin wird zur "Mama" (Metonymie), und manch alter Herr musste sich schon als "Hose" titulieren lassen. Gott sei Dank rollen wir immer schnell weg.

Zu allem, was spitz ist, sagt das Kind erstmal "aua", auch zum Kirchturm der Apostelkirche. Weltmännisch verwendet es Anglizismen ("body", "T-shirt", "okei", "baibai"), sensibel wählt es poetische Metaphern ("Sonne" für eine Grapefruit), und wenn ich ihm auf die Nerven gehe, verscheucht es mich - in der Kürze liegt die Würze - mit einem präzisen: "Weg!" Sich selbst bezeichnet der kleine Kerl bescheiden als "Baby" (captatio benevolentiae), weil eine überhebliche Dreijährige in der Tagesmuttergruppe ihn so nennt. Und wenn er mal gar kein Wort für eine Sache hat, dann heißt sie schlicht und einfach "meins".

Das Kind ist auf seine wachsende Sprachmacht stolz, und auch mein Selbstbewusstsein ist gestiegen, seitdem jeder meiner Sätze ein Echo findet ("ich brauch jetzt einen Kaffee" - "paffee!", "du Ungeheuer, jetzt ist der Drucker kaputt" - "pattutt!") Allerdings erkenne ich auch die Nachteile, die es hat, wenn ein Kind spricht. Seit der Kleine die Bedeutung von "mutzich" kennt, weist er mich in aller Öffentlichkeit auf Flecken in meiner Kleidung hin, obwohl er sie in aller Regel selbst verursacht hat.

Das Kind ist jetzt auch in der Lage, eindrucksvolle Erlebnisse unserer Radtouren dem Kindsvater farbig und packend zu schildern, in einem Sprachbrei, aus dem die bekannten Wörter umso wirkungsvoller hervorleuchten: "rhabarberrhabarber Auto rhabarber Tohjjad rhabarber Bumm!" (rhetorische Figur: Übertreibung, Hyperbel). Besonders wenn wir uns in erlauchter Gesellschaft befinden, bereichert es die Unterhaltung gerne mit Einwürfen wie "rhabarber rhabarber Kacke rhabarber" (Stilbruch). Ich halte meinen Sohn für ein großes Rednertalent, spaßeshalber nenne ich ihn manchmal Gysi. So radele ich mit meinem kleinen PDS-Chef durch die sommerlichen Straßen, vom Sitz aus hält er Ansprachen an die Berliner Motorräder, und ich bin sicher, sie werden ihn wählen.

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