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Was machen wir heute?: Buchstaben anschauen

Es ist immer ein Vergnügen, über den Gendarmenmarkt zu schlendern, aber momentan auch auf witzige Weise anregend. Aller Augen sind zu Boden gerichtet statt auf die historischen Bauten, als müsse man den schönsten Platz der Stadt von unten erkunden.

Es ist immer ein Vergnügen, über den Gendarmenmarkt zu schlendern, aber momentan auch auf witzige Weise anregend. Aller Augen sind zu Boden gerichtet statt auf die historischen Bauten, als müsse man den schönsten Platz der Stadt von unten erkunden. Spaziergänger laufen vorsichtig zwischen Buchstaben-Beeten umher, Touristen vergessen vor Überraschung das Fotografieren, und von den Stufen des Schinkel’schen Schauspielhauses hat man den Eindruck eines großen Kreuzworträtsels.

Alles buchstabiert halblaut wie gebannt: alle, Bulette, etepetete, Gendarm und so fort. Kinder einer Schulklasse lesen angestrengt: „bonfor-, bonforti-, ach Quatsch!“ Sie geben es auf. Mit dem Wort bonfortionös (großartig), in dem französisch bon und fort (gut und stark) stecken, können sie offenbar nichts anfangen, unsereiner schon noch. Und blümerant (übel/flau), das von bleu mourant herrührt (sterbendes Blau, ursprünglich der Begriff für ein bestimmtes Blassblau)? Irritiert lesen sie „Blumerand(?)“. Die Lehrerin erklärt auf Deutsch und Französisch, was es mit der Geschichte des Gendarmenmarktes, dem Französischen und Deutschen Dom und den Hugenotten auf sich hat, wie stark überhaupt die Glaubensflüchtlinge aus Frankreich den Wortschatz des Berlinischen beeinflusst haben, dass zum Beispiel das Wörtchen alle im Sinne von nicht mehr vorhanden eine Entstellung ist (von C’est allée/Das ist ausgegangen).

An all das zu erinnern, ist ja auch der Sinn der Installation, die sich die Künstlergruppe msk 7 für den Ideenwettbewerb „Fluchtpunkte – Hugenotten in Berlin“ einfallen ließ. Großbuchstaben aus Gras- und Moospolstern, in denen Spatzen herumpicken, fügen sich zu Wortschöpfungen von damals; etlichen merkt man die Herkunft nicht mehr an. Auch die Rentnerin ist ganz fasziniert von dem spielerisch gewitzten Anschauungsunterricht seit Mai. „Ein Berliner Witz ist mehr wert als eine schöne Gegend“, philosophierte Hegel anno 1830. Schade, dass der Spaß am 17. Juni enden soll. Brigitte Grunert

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