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Was machen wir heute?: Eingreifen

Aufgeschreckt durch allerlei Berichte über die ausufernde Teilnahmslosigkeit, die unter Großstadtbewohnern herrscht, beschloss ich, ab sofort einzugreifen. Und schon am nächsten Tag bot sich die erste Gelegenheit.

Aufgeschreckt durch allerlei Berichte über die ausufernde Teilnahmslosigkeit, die unter Großstadtbewohnern herrscht, beschloss ich, ab sofort einzugreifen. Und schon am nächsten Tag bot sich die erste Gelegenheit. Vor einem Supermarkt hatte eine Frau sich drei Einkaufstüten an ihren Fahrradlenker gehängt und radelte gerade über den Ampelübergang, als ein Henkel riss und eine Tüte auf den Asphalt platschte. Schnell sprang die Frau vom Rad, hielt das weiter fest, und versuchte mit der freien Hand, die verstreuten Einkäufe wieder in die Tüte zu stopfen, was nicht einfach war. An der Ampel wartete ein Auto. Darin saß ein junger Mann und glotzte die hektisch werdende Frau wie paralysiert an. Auch sonst reagierte niemand. Doch dann – kam ich!

„Ich halte mal Ihr Rad!“ rufend stürmte ich in die Szene, und sogleich hatte die Frau ihre Sachen beisammen, und gemeinsam verließen wir die Straße, bevor die Ampel umgesprungen war. Die Frau sagte „Danke“, und ich machte ein Häkchen für eine gute Tat in meinen Kalender. Dann sah ich eines lauen Abends ein kleines Kind, das sich auf wackeligen Beinen aus dem Dunstkreis der bierseligen Mutter entfernte, um mit vorgestreckten Armen auf einen Scherbenhaufen zuzuwanken. „Obacht!“, rief ich der Mutter zu, die das Kind mit schnellem Griff vor seinem Verenden in der eigenen Blutlache bewahrte. Noch ein Häkchen!

Dann beobachtete ich im Drogeriemarkt, wie ein älterer Herr eine kleine Summe passend zahlen wollte, doch es fehlten zwei Cent. „Die kann ich Ihnen geben“, sagte ich, im Geiste schon das nächste Häkchen in den Kalender malend, aber da guckte der Herr mich an, als hätte ich ihn beleidigt, und verbat sich das. Er habe genug Geld, sagte er und zog einen Schein aus der Jacke. „Nicht traurig sein, der ist immer grantig“, sagte die Verkäuferin, um mich zu trösten. Ob sie dafür auch ein Häkchen in den Kalender macht? Ariane Bemmer

Tipps für ein zugewandtes Miteinander beim Bahnfahren gibt heute übrigens die Polizei. Von 14 bis 19 Uhr auf den Bahnhöfen Zoologischer Garten, Alexanderplatz und Ostbahnhof

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