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Was machen wir heute?: Ins Unheil reisen

Hier bei uns, das ist noch ein Stück heile Welt“, sagte der Filialleiter des Supermarktes hinter seiner Kasse. Und lächelte freundlich dazu.

Hier bei uns, das ist noch ein Stück heile Welt“, sagte der Filialleiter des Supermarktes hinter seiner Kasse. Und lächelte freundlich dazu. Richtig geraten, diese Geschichte spielt nicht in Berlin, wo jeder Supermarkt-Filialleiter in Angst vor Schülerhorden leben muss, die in der großen Pause mal eben seine Regale plündern. Hier sind wir in Sicherheit, weit weg, in den Tiroler Bergen. Was war geschehen?

Meine Frau hatte an der Kasse bemerkt, dass sie ihre Tasche mit Portemonnaie im Bus vergessen hatte. Sie hatte den Tiroler Verkehrsverbund angerufen, über Funk wurde der Busfahrer verständigt, und der brachte auf der Rücktour ihre Tasche an der Haltestelle vor dem Supermarkt vorbei. Im Portemonnaie fehlte kein Cent. Schöne heile Welt.

Woher wir denn kämen, fragte der Supermarkt-Chef. „Aus Berlin? Das ist natürlich was anderes. Ich bin öfter mal in Frankfurt am Main“, erzählte er. „Was Sie da für Leut’ rumlaufen sehen. Das ist ein anderer Planet.“

Es soll sogar Leute geben, die auf diesen fernen Planeten Urlaub machen, zum Beispiel am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Mein Freund Christoph wohnt da mit seiner Familie gleich um die Ecke am Landwehrkanal, und kürzlich hatte er seine Eltern zu Besuch aus Essen an der Ruhr, der Hauptstadt der Loveparade. Christoph erzählte mir, sein Vater sei eines Abends schwer geschockt von einem Spaziergang zurückgekehrt. Er hatte die Umgebung erkundet und war am Kottbusser Tor gelandet. „Total kaputt, die Gegend“, habe sein Vater erklärt – und sei am nächsten Tag sofort wieder hin, diesmal mit seiner Frau, um ihr die Sehenswürdigkeiten zu zeigen.

In einem Stadtmagazin stand jetzt zu lesen, dass Künstler und Gewerbetreibende den Kiez rund um den Kotti entdeckt haben. Eine Hackesche Vermarktung droht Junkies, Drogendealer, islamische Fundamentalisten, Obdachlose und Psychopathen zu verdrängen. Hoffentlich kommt es nicht soweit. Berlin hätte definitiv eine touristische Attraktion weniger. Stephan Wiehler

Der Kottbusser Torplatz ist täglich 24 Stunden geöffnet (Besuch auf eigene Gefahr).

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