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Was machen wir heute?: Verstrickt werden

Ganz klar ein Fall von contradictio in adiecto, dachte ich, als meine Schwiegermutter mich vor kurzem fragte, ob ich sie in ein Geschäft mit schöner Strickmode begleiten wolle. Mit schöner Strickmode verhält es sich ähnlich wie mit schwarzen Schimmeln oder eckigen Kreisen – diese Dinge sind in der wirklichen Welt nicht existent, sie taugen lediglich als conversation starter auf Philosophen-Parties.

Ganz klar ein Fall von contradictio in adiecto, dachte ich, als meine Schwiegermutter mich vor kurzem fragte, ob ich sie in ein Geschäft mit schöner Strickmode begleiten wolle. Mit schöner Strickmode verhält es sich ähnlich wie mit schwarzen Schimmeln oder eckigen Kreisen – diese Dinge sind in der wirklichen Welt nicht existent, sie taugen lediglich als conversation starter auf Philosophen-Parties. Zumindest dachte ich so, schwer geschädigt durch einen Studiengang, in dem meine Kommilitonen zu 90 Prozent Dreadlocks und darüber selbst gestrickte Mützen trugen, die wie ausgeleierte Eierwärmer aussahen.

Doch da ich meine Schwiegermutter sehr mag, beschloss ich, sie zu begleiten, und sollte in dem Geschäft mein rotes Wunder erleben. In dieser Farbe nämlich entdeckte ich ein Kleid, bei dem ich sofort verstand, was Modefloskeln – umspielt sanft die Beine, macht eine schöne Silhouette, schmeichelt den weiblichen Formeln – bedeuten können, wenn sie wirklich eingelöst werden. Das Kleid heißt Venus und hat seinem Namen in der Vergangenheit zur Ehre gereicht: Als die Inhaberin Lilli von Mendelssohn das Geschäft vor drei Jahren mietete, wollte sie daraus eigentlich nur ein Atelier, höchstens einen kleinen Showroom machen. Sie renovierte die Räume, verhängte das Schaufenster in dieser Zeit mit braunem Packpapier, und weil sie als ehemalige Kostümbildnerin vom Burgtheater einen Sinn für Inszenierung hat, schnitt sie ein Loch in das Packpapier und hängte dort das rote Venus-Kleid hinein. Und in den Tagen danach betörte und verführte das von ihr entworfene Stück die Menschen, die vorbeikamen, derart, dass Lilli von Mendelssohn entschied, ihre eigene Modelinie zu kreieren.

Das ist drei Jahre her. Gerade ist die neue Kollektion gekommen – gestrickte Kleider, Pullunder, Jacken – und ich bin entschlossen, diesen Sommer viel Wolle zu tragen, auch wenn das wie ein Widerspruch erscheint.

Verena Friederike Hasel

Lilli Mendelssohn, Pestalozzistraße 8 in Berlin-Charlottenburg, Tel.: 30831193

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