zum Hauptinhalt

Was machen wir heute?: Zur Quelle finden

In meiner Kindheit hingen Wunder an der Wand. Im „Lon Men“, dem chinesischen Restaurant unsere Straße hoch, gab es ein Bild eines Wasserfalls, auf eine Glasplatte aufgebracht, und in seiner Mitte fiel und rauschte das Wasser wirklich.

In meiner Kindheit hingen Wunder an der Wand. Im „Lon Men“, dem chinesischen Restaurant unsere Straße hoch, gab es ein Bild eines Wasserfalls, auf eine Glasplatte aufgebracht, und in seiner Mitte fiel und rauschte das Wasser wirklich. Auch sonst war ich mesmerisiert von den Räumen hinter der dunklen Riffelglastür, dunkles Holz und rot-goldene Schimmer. Drachentor“ heißt „Lon Men“ auf Deutsch, ursprünglich hatte der Inhaber Wan-Lon Ting den Namen „Drachenpalast“ im Sinn gehabt, ein Wahrsager hatte ihm abgeraten: Die Anzahl der Striche für dieses Zeichen passte nicht zu dem Tag im Jahr 1969, an dem Ting das Restaurant gekauft hatte. Bis dahin hatte der Mann aus Schanghai einen weiten Weg zurückgelegt; nach Taiwan, als die Kommunisten kamen, als Leibkoch des Königs nach Saudi-Arabien, über Spanien schließlich nach Westberlin. Sein Sohn Cheng-Ko Ting weiß noch, wie die Mutter, mit den Kindern zunächst in Taiwan geblieben, von dem Geld, das der Vater schickte, den ersten Fernseher des Ortes kaufte.

Das „Lon Men“ war 1969 eines der ersten chinesischen Restaurants Westberlins. Frau und Kinder kamen Wan-Lo Ting nach, viele Kellner ebenso, alle aus Taiwan, bis in die 80er, da wollten viele nicht mehr weg. Wan-Lo Ting ist nach Taiwan zurückgegangen, nun führt Cheng-Kuo Ting das Restaurant. „Eigentlich müsste man das rausreißen“, sagt er, als wir neulich wieder da sind, und deutet auf die holzgetäfelte Decke. „So stellt sich heute keiner mehr China vor.“ Ich denke an das „Toca Rouge“ in der Torstraße mit weiß-rotem Minimalismus und Speisenamen wie „Crazy Orange Chicken“ und bin froh um jedes Stück Blattgold unter der gläsernen Tischplatte im „Lon Men“. Der Wasserfall hängt nicht mehr, in den 90ern gab der Motor den Geist auf. Irgendwann gab es diese Wasserfälle dann überall in den Asia-Läden in Mitte. Das erste Mal, als ich einen sah, habe ich kurz überlegt. Aber Wunder kauft man nicht. Verena Friederike Hasel

Lon Men, Bamberger Straße 30 in Schöneberg, Telefon 854 53 56

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false