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Kultur: Was Schauspieler wollen

Die Autorentage am Hamburger Thalia Theater

Zwei Wochen lang steckte das Thalia voll mit Ur und Erstaufführungen, mit Gastspielen und hauseigenen Produktionen, mit Publikumsgesprächen und Parties. Hier wird Gegenwarts-Dramatik gefeiert, an die manch anderer kaum mehr glaubt, hier zeigt sich Hamburg mal als „Hauptstadt des zeitgenössischen Theaters“, wie sich Kultursenatorin Karin von Welck mitreißen ließ.

Zu den Zeitgenossen zählt auch die Dramatikerin Dea Loher. Für die Kunst-Biennale in Sao Paolo hat sie ein neues Stück geschrieben, in Sao Paolo spielt es auch. Doch zunächst wurde „Das Leben auf der Praça Roosevelt“ bei den Autorentheatertagen am Thalia in der Gaußstraße uraufgeführt. Es ist ein Text über die Menschen, die an diesem Platz inmitten Sao Paolos leben, dort arbeiten und sich verlieren. Andreas Kriegenburg hat die Uraufführung inszeniert, wie fast bei allen Loher-Stücken, und bald wird die Produktion auch nach Brasilien gehen.

Ganz nah am Bühnenrand erzählt Herr Mirador (großartig: Peter Moltzen) aus seinem miesen Polizistenleben, lacht plötzlich laut hysterisch auf und zielt direkt ins Publikum, bevor er dicke Orangentränen weint um seinen verlorenen Sohn. Dann überquert Markwart Müller-Elmau als herrlich stolzer Transvestit die mit weißem Plastik ausgeschlagene Bühne von Thomas Schuster und schließt warmherzig Freundschaft mit der grauen Maus und Sekretärin Concha (Verena Reichhardt). Später beklagt der Waffenfabrikant Vito (Hans Löw) sein schlechtes Gewissen und verliebt sich in die eigenwillige Zahlensprecherin Bingo (Natali Seelig). Mit leider umständlichen und all zu konstruierten Theaterbildern illustriert Kriegenburg die so skurril wie authentisch wirkenden Lebensgeschichten aus dem Großstadtmoloch Brasiliens. Äußerst schleppend und oftmals fürchterlich pathetisch erzählt er die Schicksale all dieser Verlorenen, die sich – wie soll es anders sein? – am Ende mehr und mehr verweben.

Die Thalia-Produktion war eine Enttäuschung. Umso spannender verliefen die Gastspiele von den Münchner Kammerspielen (Luc Percevals „Othello“), aus Zürich (herrlich lässig und verschroben: Paula Dombrowski in Theresia Walsers „Kleine Zweifel“), von der Berliner Volksbühne („Kampf des Negers und der Hunde“, Regie: Dimiter Gotscheff) und vom Burgtheater Wien (Nicolas Stemann mit Jelineks „Werk“). Fast ein zweites (Berliner) Theatertreffen – in Hamburg.

Highlight der Autorentage: die so genannte Lange Nacht. Die Jury, das sind keine Kritiker, keine Dramaturgen, sondern die Schauspielerinnen und Schauspieler des Thalia-Ensembles; eine außergewöhnliche Idee. Aus über 150 Texteinsendungen hat sie „Fleshcrafter“ von Christine Wunnicke, „Kriegsmaschine" von Nicolai Borger, „Toronto“ von Jan Liedtke und „Macchiavellis Masseuse“ von Gerhard J. Rekel ausgewählt. Alle Stücke wurden nach nur zehn Tagen Probenzeit von mehr oder weniger nachwüchsigen Regisseuren auf die Bühne gebracht, natürlich mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen.

Die Autorentheatertage waren ein fabelhafter Saisonabschluss fürs Thalia Theater: vielfältig, lebendig und stets ausverkauft. Jetzt heißt es Abfiff. Und endlich Zeit für die Fußball-EM.

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