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Kultur: Was verloren geht

LESUNG

Einlass ins Columbia Fritz , in dem sonst Partys oder Popkonzerte stattfinden, ist bereits eine Stunde vor Beginn. Unnötigerweise, denn Benjamin Leberts Lesung hatte mit einem pop-mäßig inszenierten Event à la Stuckrad-Barre nichts gemein. Die Mädchen, die gekommen sind, um ihn lesen zu hören, sind so jung, dass sie von ihren Eltern begleitet werden, manchmal kommen die Eltern auch allein. Lebert betritt die Bühne, schmal im grauen Jackett vor lila Samtvorhang, wie ein Zauberschüler, der einen leicht durchschaubaren Trick vorführen will, von dem er weiß, dass er ihm meist auch noch misslingt: „Wenn ihr verlorengegangen seid, dann wünsche ich euch, dass ihr auf euren Weg zurückfindet, oder dass ihr verloren bleibt, denn manchmal ist Verlorensein etwas Wunderbares." Drei Gedichte wird er vortragen, eine Kolumne, die er für den Tagesspiegel verfasst hat, und natürlich sieben Ausschnitte aus seinem zweiten Roman „Der Vogel ist ein Rabe“, die er mit der stereotypen Formulierung „und wir machen jetzt wieder einen kleinen Sprung“, einem Schlückchen Tee und einigen erklärenden Worten zur Handlung verknüpft. Das Buch ist so schmal, dass man es danach kennt. Man fragt sich, wo er sich diesen Tonfall abgeguckt hat – artikuliert wie ein Hörbuchsprecher, ernst wie ein Grabredner, mit langen, bedeutungsschwangeren Pausen und ohne die Miene zu verziehen, die Stirnfalten zu glätten. Der 21-Jährige wirkt so fragil, dass das Publikum pietätvoll Gluckser unterdrückt, selbst an Stellen, die für Gluckser wie gemacht sind. Nach eineinhalb Stunden geht er nicht ab, nein, er zieht sich zurück – keine Fragen, keine Diskussion, kein Pop-Konzert.

Julia Büttner

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