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Verführerisch. Wayne Thiebauds „Pie Rows“ von 1961.

© © Wayne Thiebaud Foundation/2022, ProLitteris, Zurich Foto: Matthew Kroening

Wayne-Thiebaud-Retrospektive in der Fondation Beyeler: Hinter der Kuchentheke geht es weiter

Erstmals wird der US-Künstler in Europa mit einer Retrospektive vorgestellt. Seine Malerei reicht weit über die Pop-art hinaus. Ihm ging es um mehr als nur die Oberfläche.

Das Bild entbehrt nicht einer gewissen Komik. Da sitzen zwei auf Barhockern mit übergroßen Pappbechern in der einen Hand und einem Hotdog in der anderen, den sie eher lustlos betrachten. Eigentlich müssten sie vor dem ersten Biss doch sehr viel begeisterter dreinschauen. Auch die feine Kleidung des Paars im Sixties-Look steht zumindest für das europäische Auge im Widerspruch zum Junkfood, das die beiden gleich in sich hineinschieben werden.

Doch mit Interpretationen kommt man bei Wayne Thiebaud nicht allzu weit, auch nicht bei einem sprechenden Bild wie „Eating Figures (Quick Snack)“ von 1963. Der amerikanische Maler, der im Dezember 2021 mit 101 Jahren in Sacramento starb und bis zuletzt sein Atelier aufsuchte, liebte die Farben und ihre Wirkung, aus denen er Personenbilder, Stillleben, Landschaften systematisch zusammenbaute. Persönlich wurde er dabei nie.

Eher war er ein Analytiker, der seine an der Oberfläche so reizvollen Motive, Pinselstrich für Pinselstrich, Feld für Feld zusammenfügte. Erst wer nahe an seine Gemälde herantritt, entdeckt die feinen farbigen Linien, mit denen er einen Lackschuh umrandete, um ihn zum Glänzen zu bringen, oder die rötliche Kontur an der nackten Schulter eines jungen Mädchens, um sie plastisch hervortreten zu lassen. Aus der Ferne betrachtet erscheinen sowohl Dinge als auch Menschen dadurch hyperrealistisch.

Wayne Thiebauds Bilder sind also eine Mischung aus Versprechen und kühler Logik, eine Kreuzung aus Appetizer und Kalorientabelle. Kein Wunder, dass seine Karriere mit Tortenbildern begann, deren cremefarbene Füllungen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Dass die süßliche Füllung nicht mehr als ein fetter Pinselstrich ist, darüber ließ der Maler seine Betrachter nie im Unklaren.

Und so stößt man schon gleich zu Beginn der Retrospektive in der Basler Fondation Beyerle auf eine von Waynes „Pie Rows“ (1961), von denen er anfangs noch fürchtete, sich mit ihnen als ernsthafter Maler unmöglich gemacht zu haben. Willem de Kooning hatte dem jungen Künstler bei einem Besuch in seinem New Yorker Atelier den Rat gegeben, zu malen, was ihn wirklich interessierte und nicht nach dem Erfolgversprechenden zu schielen.

So richtig scheint es nicht zu schmecken. „Eating Figues (Quick Snack)„ von Wayne Thiebaud (1963).

© © Wayne Thiebaud Foundation/2022, ProLitteris, Zurich

Wieder zuhause in Sacramento begann Thiebaud verunsichert auf der Leinwand à la Cézanne mit Ovalen und Dreiecken zu experimentieren und landete bei auf Tellern gereihten Kuchenstücken, die er aus seiner Zeit als Aushilfskellner kannte und immer gemocht hatte. Sie wurden zu seinem Eintrittsbillett in die Galerienwelt, seine erste Ausstellung 1962 bei Allan Stone in New York verkaufte sich komplett.

Es folgten appetitliche Deli-Theken, tropfende Eiswaffeln, kandidierte Äpfel am Stiel und zahllose weitere Tortenstücke, die stets mit der Widersprüchlichkeit von sinnlicher Wahrnehmung und rationaler Entstehung spielen. Zu Recht hat sich Thiebaud immer dagegen gewehrt, der Pop-art zugerechnet zu werden, ging es ihm doch um mehr als nur die Oberfläche.

Wie systematisch er bei der Zerlegung der ihn umgebenden Welt betrieb, auch das zeigt die fulminante Schweizer Retrospektive, die den in Europa bislang viel zu wenig wahrgenommenen Künstler erstmals umfassend präsentiert. Neben Stillleben und Menschenbildern malte Thiebaud mit der ihm eigenen Gründlichkeit auch Landschaften. Ihn faszinierte die vollkommen zergliederte Kulturlandschaft Nordkaliforniens mit ihren Feldern, künstlichen Teichen zur Bewässerung, dem ausgeklügelten System an Wegen und Kanälen, die er für seine Kompositionen je nach Bedarf streckte und dehnte.

Künstler ist ein Begriff, der mir nicht gefällt. Mir ist mit diesem Begriff unwohl, aber ich liebe die Idee, ein Cartoonist, ein Zeichner, ein Grafikdesigner, ein Maler zu sein…

Wayne Thiebaud, Maler

Ähnlich betrachtete er die Stadtlandschaft San Franciscos, wo er zeitweilig lebte. Die Hochhäuser, krass nach oben ansteigenden oder nach unten zur Bucht hinabstürzenden Straßen, der im Hintergrund aufblitzende Ozean folgen nur bedingt der Realität. Auch hier reizten ihn vor allem die Farben und Felder, aus denen er die Wirklichkeit zusammenbaute.

Thiebauds Werk ist sowohl Auseinandersetzung mit dem Sichtbaren als auch der Kunstgeschichte. Wie wichtig sie dem Künstler immer blieb, der als 15-Jähriger in den Walt Disney-Studios während der Ferien für Mickey-Maus-Filme zeichnen begann, zeigt das Gemälde „35 Cent Masterworks“ von 1970-72. Wie Magazine auf einem Zeitschriftenständer preist es Kataloge zu Picasso, Cézanne, Rousseau, Morandi, de Chirico an – Meisterwerke zum Spottpreis von 35 Cents.

Natürlich befindet sich auch Mondrian darunter, der nur noch Geraden und Felder malte, eines der großen Vorbilder Thiebauds. Ihm war die vorherige Beyeler-Ausstellung gewidmet. Mit dem US-Maler öffnet sich wieder die Tür zur Gegenständlichkeit. Die roten, blauen, gelben Linien am Badewannenrand von Thiebauds  „Woman in Tub“ (1965), die glatte weiße Fläche, wo eigentlich Fliesen wären, sind eine Hommage an den Meister der Abstraktion. Der Kopf der Badenden hebt sich von diesem Untergrund ab wie eine Erscheinung. Thiebaud konnte beides gleichzeitig: abstrakt und figurativ malen.

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