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Eine kleine Theatermusik. Intendant Jürgen Flimm verkürzt die Wartezeit bis zum Eintreffen der Staatskapelle.

© DAVIDS

Wegen Überfüllung geöffnet: Staatsoper: Akustiktest im Schiller Theater

Berliner sind berühmt für ihre Begeisterungsfähigkeit. Lädt die Staatsoper bei freiem Eintritt schon vor der eigentlichen Saisoneröffnung in ihre Ersatzspielstätte im Schiller Theater, strömen die Massen herbei.

Schon vor dem Eintreffen von Daniel Barenboim und seiner Truppe, die per Schiff aus Mitte anreisen, ballen sich am Sonntag vor dem Eingang mehr Neugierige, als der Zuschauersaal fassen kann. Sie stürmen das Haus, drängeln sich vor verschlossenen Saaltüren, harren in sauerstoffloser Luft aus, fluten Parkett und Rang. Längst sind alle Plätze belegt, doch immer mehr drängen nach. Ein Hauch Duisburg liegt in der Luft, und Intendant Jürgen Flimm hat seine liebe Mühe, die aufgeheizten Gemüter wieder auf Hochkulturniveau herunterzukühlen. 30 Minuten noch bis zum Beginn des offiziellen Programms.

Flimm ist Deeskalations-Profi. Er lässt das Publikum mit verteilten Rollen „Ach neige, du Schmerzensreiche“ deklamieren, dekliniert Applausformen durch – „jetzt bitte ein Buhgewitter, und zwar nicht sozialdemokratisch, sondern richtig schwarz und böse!“, bis die Musiker endlich soweit sind. Doch schon gibt es erneut Gerangel. Besucher, die für die Schiffspassage Tickets erworben hatten, reklamieren die ihnen zugesicherten Plätze. Da aber sitzen längst andere. Sanft redet Flimm auf die Illegalen ein, erreicht Achtungserfolge, bis die Boatpeople dank vier Dutzend Stapelstühlen schließlich direkt auf der Bühne Asyl bekommen.

Auftritt Staatskapelle Berlin, samt Maestro Barenboim, für Mozarts „Kleine Nachtmusik“. Der Saal des umgenutzten Charlottenburger Sprechtheaters besteht die Akustik-Feuerprobe. Die originale, vielfach getäfelte Holzverkleidung sorgt für die nötige Schallwellenbrechung – und ist wieder eine fein gemaserte Augenweide, nachdem die schwarze Bemalung aus den achtziger Jahren entfernt worden ist. Plastisch und präsent tönen die Streicher, kompakt die Geigen, die Celli und Bässe klar und durchsetzungsfähig. Wohltemperiert ist auch der Klang des Flügels, auf dem Barenboim als Zugabe spontan Schuberts As-Dur-Impromptu spielt.

Es folgen die Solisten des Ensembles – und kleine Momente der Irritation: Die Gesangsstimmen kommen dem Hörer weniger schlüssig entgegen als der Instrumentalklang, das Ohr muss sich erst fokussieren auf die Lieder nach Schiller-Worten, die Anna Prohaska, Hanno Müller-Brachmann und Roman Trekel präsentieren. Am meisten Eindruck macht Anna Samuil, als sie mit ihrem Diven-Sopran Slawisch-Leidenschaftliches zu Gehör bringt. Beim Chor, der Mozart, Bizet und – natürlich! – „Freudig betreten wir die edle Halle“ aus dem „Tannhäuser“ anstimmt, entfalten sich die leisen Passagen schön im Raum, während das Fortissimo doch recht knallig klingt. Im Opernbetrieb, der am 3. Oktober mit der Uraufführung von Jens Joneleits „Metanoia“ beginnt, werden sich solche Details aber nachjustieren lassen, über die berüchtigte Nachhall-Anlage, deren bislang in der Staatsoper versteckt angebrachte Lautsprecher nun deutlich sichtbar von den Wänden des Schiller Theaters grüßen.

Alles sieht wieder so aus, wie es das Westberliner Bildungsbürgergedächtnis aus goldenen Theatertagen gespeichert hat: sanfte Pastelltöne, dekorative Messingelemente, abstrakt-verspielte Wandfresken, Quallen-Deckenlampen und irisierende Lichtspiele auf der Milchglasfront im Rangfoyer. Nur der Vorgarten ist ruiniert. Statt im eleganten FiftiesSchwung um die Rasenfläche geht es nun mitten durch die Rabatten zum Eingang: eine vulgäre Roter-Teppich-Rennstrecke, die, pardon, doch arg nach Mitte-Protzerei riecht. Frederik Hanssen

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