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Kultur: Weibliche Dreifaltigkeit

"Wo bleibt das Singen, das Tanzen? Ich will ein Musical.

"Wo bleibt das Singen, das Tanzen? Ich will ein Musical.Filme sind gequälter Mist." Die Produzentin Liliane la Fleure findet deutliche Worte, um ihrem Regisseur Guido Contini ihre Wünsche klarzumachen.Und beschreibt damit gleichzeitig das Vorgehen des amerikanischen Komponisten Maury Yeston.Der nämlich übersetzte Federico Fellinis Kultfilm "8 1/2" 1982 in das Broadway-Musical "Nine" und strich dabei alles, was am Film "gequälter Mist" sein könnte.Traumsequenzen, lange Einstellungen, artistische Zweifel und konsequent subjektive Einstellungen, alles, was "8 1/2" zu einer Ikone des modernen, intellektuellen italienischen Kinos macht, wurde in "Nine" ersetzt durch das alte Thema Mann und Frau.Denn der Filmregisseur Guido Contini, der in einem mondänen Kurbad in der Nähe von Venedig Zuflucht und Entspannung zu finden hofft, wird heimgesucht von den Geistern der Vergangenheit.Und die sind allesamt weiblich.

Helmut Baumann, scheidender Intendant des Theaters des Westens, hat mit seinem Abschiedsstück keine modernistisch-intellektuelle Selbsterforschung inszeniert, sondern einen elegisch-geschmackvollen Abgesang mit versöhnlich-heiteren Untertönen.Schon die Eingangsszene, in der vor schwarzem Bühnenhintergrund langsam die Geister der Vergangenheit auftauchen wie aus einem fernen Traum und sich um Guido zum Chor gruppieren, scheint mit ihrer zauberischen Stimmung einer Tschechow-Welt entsprungen: elegante Frauen mit Sonnenschirm (Kostüm: Katrin Brose) evozieren Kurbadstimmung.Baumann und seine Bühnenbildnerin Karin Kegler erbringen den Beweis, daß es für effektvolle Musicals aufwendiger Ausstattung und Möblierung kaum bedarf: Die schwächsten Szenen sind die, die mit Rialto-Brücke, Lichterketten und Kirchenkuppeln Venedig tatsächlich auf die Bühne holen wollen.Die nebligen Schemen der Stadt im Hintergrund, dunkle Zypressen vor hellem Sommerhimmel oder die Weite des Meers, alles auf die Rückwand projiziert, schaffen Stimmung genug.

Und lassen die Bühne frei für das fulminante Ensemble dieses Berliner Theaters.Denn "Nine", das Musical über einen Mann zwischen zu vielen Frauen, scheint wie maßgeschneidert für ein Ensemble, das traditionell glänzt durch hervorragende weibliche Besetzungen.So wird Baumanns Abschiedsinszenierung auch zur Hommage an die Stars des Hauses: Sylvia Wintergrün ist Continis treue Ehefrau Luisa, die, knabenhaft schmal und scheu, ihr ganzes Temperament sich stimmlich aufbäumen läßt, wenn sie Guido schließlich dann doch verläßt.Pascale Camele als Guidos Geliebte Carla darf als schaumentsprungene Venus in Dessous gurren und sirren wie Marilyn und hat am Schluß den schönsten Abgang mit dem Liebes- und Abschiedslied "Einfach".Anne Welte als derbe Hure Saraghina tanzt am Strand die Tarantella und lehrt die Klosterschüler Liebe, Catherine Gayer als Guidos Mutter kommt zur Stippvisite aus dem Jenseits, Michelle Becker als Produzentin macht aus ihrer Vergangenheit als Folies-Bergères-Tänzerin keinen Hehl, ihre lesbische Freundin Stéphanie (Monica Solem) schreibt für die "Cahiers du Cinema" und verkörpert die kritisch-intellektuelle Stimme, und Renée Knapp als Guidos Muse und Hauptdarstellerin Claudia Nardi ist die elegisch-statuarische Schöne.Vier kräftige deutsche Damen im Kurbad "lieben Wurst und Sauerkraut und sind nur manchmal etwas laut", die Kellnerinnen umschwärmen Guido wie die Fliegen, und in einer Folies-Bergères-Szene kommen auch die Liebhaber von Boas, Federschmuck und Tütüs auf ihre Kosten.

Allein der Österreicher Alfred Pfeifer als Guido bleibt blaß, stimmlich wie darstellerisch.Dunkel gewandet, stolpert er zumeist passiv durch den bunten Reigen, optisch dem Vorbild Marcello Mastroianni aus Fellinis Film nicht unähnlich, und völlig an die Wand gespielt von der versammelten Weiblichkeit.Was für die Dramaturgie so schlecht nicht ist: Zwar ist das ganze Stück, der Blick des Regisseurs auf das Universum der Frauen, eine reine Männerphantasie, und trotzdem ist der Protagonist, der reine Projektionsfigur bleibt, eine Leerstelle in der Mitte.

Maury Yeston, der derzeit mit seinem Musical "Titanic" am Broadway Triumphe feiert, hat zum Buch von Arthur Kopit eine gefällige, hemmungslos plagiierende Musik geschrieben.Nicht erst am Ende, wenn der verzweifelte Guido statt des gewünschten Musicals seine Probleme mit den Frauen als Barock-Singspiel über Casanova auf die Bühne bringt, greift Yeston, der als Musikprofessor aus seiner Bewunderung für Bach, Mozart und Beethoven keinen Hehl macht, tief in den traditionellen Operntopf.Richard Wagner, Johann Strauß und Antonio Vivaldi standen Pate für die Songs, die, aufwendig instrumentiert, geradezu arienhaft wirken.Und - streckenweise - wie Filmmusik.

Bis 30.Juni jeweils dienstags bis samstags 20 Uhr, sonntags 18 Uhr

CHRISTINA TILMANN

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