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Kultur: Weißer Ritter in Venedig

Eine

von Bernhard Schulz

Im Jahre 1986 eröffnete der frisch renovierte, von Stararchitektin Gae Aulenti durchgestaltete Palazzo Grassi seine Pforten mit „Futurismus und Futurismen“, einer Ausstellung, die kunsthistorisch zu diesem Thema Geschichte machte. Gleichzeitig begann die glanzvolle Ära des Sponsors Fiat, der das Haus als sein kulturelles Aushängeschild finanzierte und pflegte. Doch Fiat geriet irgendwann in Bedrängnis, und als der „Avvocato“, als der sich Fiat-Familienchef Gianni Agnelli gerne bezeichnen ließ, 2003 verstarb , wurde der venezianische Palazzo kaum zwei Jahre darauf ohne viel Federlesens geschlossen.

Nun beginnt, fast auf den Tag genau zwanzig Jahre nach Agnellis Auftritt, eine neue Zeit im Grassi. Ob es gleichfalls eine Ära wird, muss François Pinault, der neue französische Eigner, noch beweisen. Am heutigen Donnerstag stellt er seine Erstlingsausstellung den Medien vor – einen Teil seiner legendenumrankten, 2000 Arbeiten umfassenden Kollektion. Die sollte eigentlich am Stadtrand von Paris auf einer Seine-Insel ihre luxuriöse Heimstatt finden, doch dem Selfmademilliardär Pinault verlief die Entscheidungsprozedur der Behörden zu langsam. Als der Palazzo Grassi wie sauer Bier auf dem Markt feilgeboten wurde – zwischenzeitlich drohte schon die Einrichtung eines Spielcasinos –, griff der Bretone zu. Und Venedig freute sich – und hofft auf die Fortsetzung der Grassi-Erfolgsstory mit ihren jeweils mehrere hunderttausend Besucher zählenden Ausstellungen. Da wird die Gegenwartskunst, die Pinault aufgehäuft hat wie neben ihm nur noch Friedrich Christian Flick, allein nicht genügen.

Auf dem Programm steht daher als zweite Ausstellung ab November – etwas von Picasso. Da kann man nicht fehlgehen, zumal das Grassi auch unter Fiat mit Einfallslosigkeiten wie zu allerletzt Dalí Kasse machte. Aber Pinault ist nicht Agnelli. Pinault ist ein ehrgeiziger Sammler, der seine Ankäufe öffentlich gewürdigt sehen will. Venedig mit seinen bunt gemischten Touristenmassen ist dafür, der Kunst-Biennale und all ihrem Künstlerrummel zum Trotz, ein heikles Pflaster. Hoffen wir für die serenissima, die sich den aufwändigen Palazzo Grassi aus eigenem Etat niemals leisten könnte, dass Pinaults Erwartungen in Erfüllung gehen – und sich der Sammler nicht ebenso schnell wieder zurückzieht, wie er im vergangenen Jahr als Weißer Ritter aus dem Nichts auftauchte. Denn Sammler sind mindestens so eigensinnig, wie prekäre Firmenbilanzen sich als gnadenlos erweisen können. Pinaults Eröffnungsschau trägt übrigens den Titel „Wohin gehen wir?“ Wirklich, nicht nur Venedig möchte das gern wissen.

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