zum Hauptinhalt
Ein up-to-date-Othello in Trainingsjacke und überarbeiteten Rollenklischées.

© Lea Mugnaini

Fabian Gerhardts „Othello“ im Theaterdiscounter: Weißer Wilder

Fabian Gerhardt bringt mit seinem Othello eine durchmodernisierte Fassung auf die Bühne: weniger Rassismus, mehr Machtspiele und schockemanzipierte Frauen.

Musikalisch ist Othello up to date. Beim ersten Auftritt hat der General die Hitschnulze „Stay with me“ von Sam Smith auf den Lippen, mit der er sich mangelnde One-Night-Stand-Kompetenzen und tiefe Empfindsamkeit bescheinigt („But I still need love cause I’m just a man“). Modisch ist der Mann auch nicht gerade von gestern, er hat seinen stämmigen Körper in einen Trainingsanzug zum engen Muskelshirt gehüllt. Und noch etwas ist neu: Othello ist nicht länger schwarz. Shakespeares Held, seit Theaterjahrhunderten der Ausgegrenzte, das Rassismusopfer, die Projektionsfläche für Fantasien vom edlen Wilden, hat sich in einen Repräsentanten der Mehrheitsbevölkerung verwandelt: männlich, weiß, hetero. Während seine Desdemona eine dunkelhäutige Latina ist, der im sinistren Intrigenspiel des Ränkeschmieds Jago nur die Opferrolle zufällt. Daran hat sich nichts geändert.

„Eitelkeit und Herzensbildung sind nicht mehr als Rotz auf meinem Ärmel.“

Regisseur Fabian Gerhardt legt im Theaterdiscounter einen radikal umgekrempelten und auf 90 Minuten verdichteten Shakespeare vor. Stefan Wipplingers Fassung schlägt einen harten, aber nie aufgesetzten Ton an, der etwa Othello seiner Geliebten die Resistenz gegen den Neid der Restwelt mit einem markigen „Für dich und unsere Liebe scheiß ich drauf“ versichern lässt. Es gibt auch treffsichere tagespolitische Verweise, wenn etwa Desdemona gönnerhaft erklärt wird, ihren Auftritt habe sie jetzt doch „prima gemacht“ und sich ein Streicheln verdient. Aber insgesamt zielt dieser „Othello“ (Untertitel: „I know I’m not the only one“) weniger auf Aktualisierung als auf Durchleuchtung von gesellschaftlichen Mustern, die in ihrer Zeitlosigkeit das eigentlich Tragische sind.

Vier junge Schauspieler (Abschlussjahrgang 2013–2015 der UdK) verkörpern dabei sämtliche Parts. Jochen Weichenthal als Othello ist ein gefährlich selbstverliebter Bauchmensch, der von Desdemona mehr Besitz ergreift, als dass er ihr begegnen würde. Fabian Raabe (auch Cassios Freundin Bianca) gibt einen unaufgeregt-durchtriebenen Jago mit dem Komplex des zu kurz Gekommenen, der lässig verkündet: „Eitelkeit und Herzensbildung sind nicht mehr als Rotz auf meinem Ärmel.“ Anton Weil, ebenfalls toll, spielt neben Rodrigo und Jagos Frau Emilia einen eilfertigen Cassio, der so blind seinem Status nachläuft, dass er sich zum nützlichen Idioten Jagos macht. Und Elena Manzö (auch Brabantio) ist eine Wucht als Desdemona, die sich als mehrfach Fremde in der Männerdomäne zwar kräftemäßig behaupten könnte, aber an den Verhältnissen scheitert.

Die vor ihrer Emanzipation verschreckte Frau steht im Fokus der Aufführung

Der Diskriminierung der Frauen, die vor allem aus der Angst vor ihrer sexuellen Selbstbestimmung erwächst, gehört überhaupt der Fokus dieses „Othello“. Er ist nicht in erster Linie Rassismusdrama, sondern Reflexion über mörderische Machtstrukturen und scheiternde Emanzipation. Ein wirkungsvoller Twist.

Fabian Gerhardt, ausgebildeter Schauspieler und als Regisseur vor allem am Potsdamer Hans Otto Theater beschäftigt, ist unlängst schon bei den Autorentheatertagen am DT mit „Szenen der Freiheit“ aufgefallen. Er versteht sich auf Schauspielerführung. Und auf ein dringlich-intensives Geschichtenerzählen, das mit kristallener Schärfe Beziehungsgeflechte freilegt. „Nur weil ich Othello bin und du Desdemona muss ich dich doch nicht töten“, barmt der General im Theaterdiscounter. Leider zu spät, sie liegt schon leblos in seinen Armen.

Wieder Sa 25. und So 26.7., 20.30 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false