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Pianist Daniil Trifonov bei der Entspannung.

© Dario Acosta

Klavier-Prometheus: Daniil Trifonov berauscht in der Philharmonie

Endlich wieder gastiert Pianist Daniil Trifonov in der Philharmonie. In einem fulminanten Soloabend widmet er sich Werken von Mozart bis Skrjabin.

Von Keno-David Schüler

Schon das saisonale Konzertprogramm Daniil Trifonovs spricht in seiner Ambition für sich. Neben Höhengipfeln der Klavierliteratur wie Schumanns „C-Dur-Fantasie op. 17“, Ravels „Gaspard de la nuit“ und Skrjabins „5. Sonate“ werden mit Tschaikowskis „Jugendalbum op. 39“ und Mozarts „c-Moll-Fantasie KV 475“ auch die kleinen Formen bedacht. Verbindend ist das Fantastische, das sich heute in mannigfaltigen Klangwelten offenbart.

Daniil Trifonov ist für die Überraschung, für seine subjektiv eingefärbten Lesarten, bekannt. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an den Virtuosenstar, das „Phänomen“. Zugegeben: ein schrecklich verbrauchtes Wort, doch wie wäre die musikalische Erscheinung Trifonov, in verwegener Mischung aus spätlisztischem Abbé und paganinischem Teufel, überhaupt treffend zu fassen?

Scheinen die irdischen Kreise im entfesselten Skrjabin weit entfernt, verblüfft der Pianist auch an diesem Abend in der Philharmonie mit souveräner technischer Meisterschaft. Ihm ist das exaltiert Virtuose genauso eigen wie die Stamina, weite dramaturgische Bögen über den Konzertabend zu spannen.

Entscheidend für sein Klangverständnis war, nach eigener Aussage, als Zwölfjähriger die Begegnung mit Skrjabins Symphonischer Dichtung „Le Poème de l’extase“, die zeitgleich mit der 5. Klaviersonate entstand. Innerhalb weniger Tage hingeworfen, ist letztere ganz aus dem Geist der Orchesterpartitur geboren, aus deren selbst verfasster Textdichtung der Komponist seiner Sonate das Motto voranstellte: „Ich rufe euch zum Leben auf, verborgene Bestrebungen! / Ihr in dunkeln Tiefen, / Tiefen des schaffenden Geistes versunkenen, / Ihr ängstlichen Keime des Lebens, / Kühnheit bringe ich euch!“

Dämonie und Kontrolle

Neben einer ordentlichen Portion kühnem Drive faszinieren nicht minder die lyrischen Passagen Trifonovs, der gleich in der entrückten Einleitung zum Parfümeur transformiert. Der Flügel erblüht jetzt zur Duftorgel, an der die Aromen aufs Feinste austariert werden. Einen ganz anderen Klangraum noch hatten die wilden Fahrwasser des „Gaspard“ eröffnet, wenn die Nymphe Ondine im ersten Stück versucht, den Erzähler in ihren Unterwasserpalast zu locken. Mal trüb, grünlich modrig, dann frisch sprudelnd, hell, salzig hatte sich eine solch wild-dissoziative Klangreise ergeben, wie sie Arthur Rimbaud in seinem „Trunkenen Schiff“ darstellt.

Und Trifonov kann, wie im Tschaikowski zu erleben, noch so einiges mehr. Die didaktisch orientierten „Kinderstücke“ finden bei ihm zu konzertsaalwürdiger Größe. Zum Mikrokosmos verschmelzend, ist doch eine jede der 24 Miniaturen sensibel profiliert. Unterdes geraten Momente von betörender Schönheit keineswegs zu entkontextualisierten Klang-Inseln.

Trifonov bleibt immer im Fluss der musikalischen Phrasen, das Folgende findet logisch Anschluss an das Vorhergehende. Ohne Frage erleben wir hier einen der bedeutsamsten Pianisten unserer Zeit. Man darf gespannt sein, was zukünftig von diesem Klavier-Prometheus zu hören sein wird. Warum auch mal nicht weniger bekanntes Repertoire?

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