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Regisseur Sergej Loznitsa

© Ian Langsdo/EPA

Dokumentation "Maidan": Welche Macht setzt sich durch?

Kein Off-Kommentar, keine Interviews, stattdessen Bildtotalen und namenlose Helden der Revolution. Die Doku "Maidan" über die Ereignisse auf dem Unabhängigkeitsplatz in der Ukraine.

Wie lange ist das her? Gefühlt gestern und zugleich zehn Jahre – die als „Euromaidan“ in die Geschichte eingegangene Revolution der Ukraine, die nach Wochen der Besetzung des Kiewer Unabhängigkeitsplatzes durch das Volk im Februar 2014 in ein Polizeimassaker und wenige Tage später in die Flucht des Präsidenten Viktor Janukowitsch nach Russland mündete. Nur kurz hielt sich die Euphorie über den –blutig bezahlten – Sieg der Pro-Europäer; seither destabilisieren die fünften Kolonnen Wladimir Putins das ganze Land. Nach der Annexion der Krim und dem mühsam ausgehandelten Waffenstillstand im Osten der Ukraine geht der Krieg weiter. Und Europa, das die Revolution mit leidenschaftlicher Sympathie verfolgte, ist – Stichwort Griechenland, Stichwort Flüchtlinge – seit vielen Monaten heftig mit sich selbst beschäftigt.

Schon im Mai letzten Jahres zeigte der in der Ukraine aufgewachsene und in Berlin lebende Filmemacher Sergej Loznitsa seine Revolutionschronik in Cannes; nun bringt ein junger, kleiner, engagierter Verleih „Maidan“ in ein paar deutsche Kinos. Zwei Stunden und zehn Minuten dauert diese von Mitte Dezember 2013 bis Februar 2014 gefilmte Meditation über ein Ereignis, dessen Vordergrundbilder nach wie vor frisch im Gedächtnis haften.

Sie sind das Volk

Nur geht Loznitsa gänzlich anders vor: keinerlei Off-Kommentar, keine Interviews, keine Reißschwenks, keine Clip-Schnittfrequenz und vor allem: keine Konzentration auf prominente Protagonisten. Stattdessen: Totalen bei meist fest installierter Kamera. Und vor allem: lange Einstellungen auf Menschen, Dutzende, Hunderte – die namenlosen Helden dieser Revolution.

Das Bild zeigt Feierlichkeiten ein Jahr nach dem Beginn des "Euromaidan".
Der Maidan, Symbol der Revolution. Das Bild zeigt Feierlichkeiten ein Jahr nach dem Beginn des "Euromaidan".

© Sergey Dolzhenko/EPA

Sie sind das Volk, und in vier das Geschehen gliedernden Einstellungen sind sie bildformatfüllende Masse und Individuen zugleich: Ob sie stolz, mit abgenommener Kopfbedeckung und mit Hand auf dem Herzen, die ukrainische Nationalhymne singen (in einer Zeile heißt es: „Unsere Feinde werden verschwinden wie Tau in der Morgensonne“) oder in einem Trauergottesdienst auf dem dunklen Maidan-Platz schweigend ihrer von der Polizei erschossenen Märtyrer gedenken. Und sie sind das Volk, ob sie Teebecher und Essen durch die Menge tragen oder riesige Lastwagenreifen, Brandmaterial für die Barrikaden.

War der Kampf umsonst?

Ernst sehen diese Gesichter aus, wobei sich der in der ersten Filmstunde erkennbare Stolz auf das Gelingen eines großen gemeinsamen Abenteuers in den späten Bildern, nach minutenlang wie in Realzeit dokumentierten Straßenschlachtszenen, in bittere Entschlossenheit wendet. Auch geht der Blick der Menschen auf die für sie meist sichtbar postierte Kamera, anfangs nüchtern registrierend, immer durchdringender ins Misstrauische, fast Feindselige. Wer filmt da, in wessen Auftrag? Und dahinter die Sorge: Welche Macht wird sich durchsetzen?

Diese Frage ist – ein Schmerz und ein Glück – bis heute nicht beantwortet. Noch hält die Ukraine als Staat stand, gestützt durch die Sanktionen der EU und die Restscheu Russlands, sich durch Einverleibung des rebellischen Nachbarn ganz aus der Völkerfamilie auszuschließen. Andererseits ist nicht ausgemacht, ob der Kampf der Hunderttausende gegen korrupte Eliten und für die Zugehörigkeit zu Europa am Ende nicht doch umsonst war. Auch diese tiefe Skepsis, der historische Grundzweifel aller einst unterworfenen Satellitenvölker der Sowjetunion, ist in den Gesichtern der Menschen zu lesen, von Anfang an. Um wie viel schwerer wiegt der Mut zu solch einer Revolution.

fsk am Oranienplatz und Krokodil

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