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Welfenherrscher: Otto IV. - Der Fußnotenkaiser

Der Welfenherrscher Otto IV. war jahrhundertelang vergessen. Nun wird er in Braunschweig wiederentdeckt.

Einen Loser nennt ihn Ausstellungskurator Hans-Jürgen Derda. Den Welfen selbst war ihr einziger Vertreter auf dem Kaiserthron offenbar auch nicht mehr Aufmerksamkeit wert. Während sein Vater Heinrich der Löwe mit Ehefrau Mathilde eine prachtvolle Grablege im Dom zu Braunschweig bekam, wurde Sohn Otto zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit anderen Welfenfürsten in einem Sammelgrab untergebracht und geriet in Vergessenheit. Als der Historiker Bernd Ulrich Hucker Anfang der Neunziger ein Habilitationsthema suchte, bedeutete ihm sein Habilvater, es gäbe da doch noch einen Fußnotenkönig, der wäre es vielleicht wert, einmal erforscht zu werden.

Armer Otto. So schlimm, so erfolglos, so unbedeutend war er dann doch nicht. „Hochmütig, dumm, aber tapfer“ nennt ihn ein Chronist, andere rühmen ihn als ritterlich, stolz, tugendsam, einen „Jüngling von großer Gestalt, freundlichem Angesicht, von heiterer Sprechweise, umsichtig imm Rat, mit Geschenken überaus freigebig und mit allen höfischen Sitten geschmückt“. Geschichtsschreibung war immer auch Propaganda, erst recht zur Zeit des Jahrzehnte währenden Streits zwischen Welfen und Staufern, Kaiser und Papst, in dessen Mittelpunkt Otto IV. mehr unfreiwillig als freiwillig geraten war. Da war jeder Chronist automatisch Partei.

Eine unruhige Epoche, eine Welt im Umbruch, an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert. In Rom der Papst, der auf weltliche Herrschermacht pocht, in Sizilien das Kind Friedrich II., das eigentlich als nächster Kaiser vorgesehen war, und im Deutschen Reich zwei gewählte Könige, die gegeneinander streiten: der Staufer Philipp von Schwaben und der Welfe Otto, der dritte Sohn Heinrichs des Löwen. Der eine, Philipp, wird 1198 gekrönt mit den dazugehörigen Reichsinsignien, aber am falschen Ort, der andere, Otto, im gleichen Jahr immerhin im Krönungsdom zu Aachen, vom krönungsberechtigen Bischof Adolf von Köln. Die Reichsfürsten, die sich über der Königswahl gründlich zerstritten hatten, taktieren genauso wie der Papst. Zehn Jahre kämpfen die Kandidaten gegeneinander – bis Philipp von Schwaben einem Attentat zum Opfer fällt. 1209, vor achthundert Jahren, wird Otto IV. in Rom von Innozenz III. zum Kaiser gekrönt.

Mit der niedersächsischen Landesausstellung, die mit der Burg Dankwarderode und dem Dom St. Blasii immerhin zwei historische Stätten bespielen kann, versucht man nun, dem vergessenen Kurzzeit-Kaiser Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und das so populär wie möglich: mit Ritterturnier und Minnesangwettstreit, Festkonzert und Fahnenschwenkern wird das „Kaiserjahr 2009“ in Braunschweig begangen. Mittelalter zum Anfassen – und Geschichte zum Nachholen. Denn auch die Landesausstellung, die an erfolgreiche Vorgänger wie „Heinrich der Löwe“ oder die legendäre Staufer-Ausstellung in Stuttgart anknüpfen möchte, stellt sich mit Landkarten, Porträts, Zeitschienen und Ahnenreihen der schwierigen Aufgabe, einen höchst komplexen Geschichtsabschnitt zum Leben zu erwecken. Und das in den nicht unbedingt großzügigen Räumen des Braunschweiger Landesmuseums, wo eine Brücke zum Übergang über den Rhein wird und eine steile Treppe zur Alpenbesteigung auf dem Weg nach Rom.

Spielerische Notlösungen – die doch den Objekten den angemessenen Vorrang lassen. Viel ist von Otto nicht überliefert. Aber mit dem 1574 aus dem Dreikönigsschrein gestohlenen und heute im Kunsthistorischen Museum Wien verwahrten Ptolemäer-Kameo, einer auffällig großen antiken Herrscherdarstellung auf geschnittenem Edelstein, hat Braunschweig ein echtes Highlight bekommen. Auch der prächtige rote Kaisermantel Ottos IV., mit goldenen Leoparden bestickt, ist in der Kemenate der im 19. Jahrhundert frei rekonstruierten Burg Dankwarderode zu sehen, ebenso die Braunschweiger Teile des Welfenschatzes, der gerade durch den aktuellen Berliner Restitutionsstreit im Gespräch ist. Evangeliare, Aquamaniles in Reiterform und zwei sehr schöne Madonnenstatuen vervollständigen den Rundgang. Das Testament Ottos IV. immerhin ist das älteste erhaltene Kaisertestament. Er wünscht sich: „Lieber Gott, gib einen guten Herren, der dein Volk regiere.“ Späte Einsicht oder Demut vor Gott?

Ein Machtpolitiker war Otto IV. auf jeden Fall. Selbstbewusst und selbstdarstellungsbewusst. Als er dem Kölner Dom als Dank für die Königskrönung die Vorderplatte des berühmten und natürlich nicht nach Braunschweig ausgeliehenen Dreikönigsschreins stiftet, stellt er sich selbst als vierten König in den Gratulationszug der Heiligen Drei Könige. Und sein Siegel, das er sich nach der Kaiserkrönung durch Papst Innozenz III. zulegt, zeigt ihn, mit Reichsapfel und Zepter, zwischen Mond und Sonne. Der Papst hatte verkündet, er, Innozenz, sei die Sonne, die den Mond, den Kaiser, beleuchte. Otto IV. sah das anders.

Das Verhältnis zwischen Papst und Kaiser, das als Zweckallianz begonnen hatte, trübte sich ohnehin bald. Aus der anfänglichen Freundschaft erwuchs schnell ein abscheulicher Zwiespalt, resümiert der zeitgenössische Annalist Reiner von Lüttich. Es geht um Herrschaftsrechte in Sizilien, wo Friedrich II. unter dem Schutz des Papstes steht, es geht um die Gebiete nördlich von Rom – der Vatikan ist eingekeilt zwischen weltlichen Mächten. Vor allem aber geht es um die Herleitung der Macht. Kaiser gegen Papst – oder durch des Papstes Gnaden. Innozenz III. zeigt seine Werkzeuge, exkommuniziert Otto IV., verhängt den Fluch Anathema – und Friedrich II. sieht seine Chance, eilt nach Deutschland, ein Wettlauf um die Zeit, und lässt sich 1215 in Aachen krönen. Otto IV., der zudem noch, an der Seite des englischen Königs Johann Ohneland, die Schlacht von Bouvines verloren hatte, ist in Braunschweig kaltgestellt, gerät in Vergessenheit. Schon mittelalterliche Chronisten belegen verschiedene Todesdaten. Tatsächlich stirbt Otto IV. 1218 – an der Ruhr, das „dünne Scheißen“ nennt es der sächsische Chronist. Sein Testament gibt dem Papst in allen Punkten recht.

Eine tragische Figur, eine schillernde auch – und eine, der die Stadt Braunschweig viel verdankt. Die Fertigstellung des Doms, von Heinrich dem Löwen begonnen, Kirchen und Klöster wie die vor den Toren gelegene Zisterzienserabtei Riddagshausen, und eine Stadtbefestigung mit zwölf Toren, die an das himmlische Jerusalem erinnern soll. Dass Otto keineswegs nur ein Warlord, ein Feldherrenkönig, sondern auch gebildeter Höfling war, darauf deutet die Erziehung am englischen Königshof, wo der Knabe aufgewachsen war, als Lieblingsneffe von Richard Löwenherz. Dieser belehnt ihn, nachdem Nachfolgepläne in England fehlgeschlagen waren, mit seinem Herzogtum Poitou in Aquitanien – dem Geburtsort von Minnesang und höfischer Literatur. Für Otto soll Walter von der Vogelweide den Ottenton gedichtet haben.

Das Grab Ottos IV. deckt heute eine moderne Grabplatte, die schlicht Namen und Todesdatum nennt. Immerhin hat man inzwischen Kaiserin Beatrix, die Tochter Philipps von Schwaben, die 14-jährig drei Wochen nach der arrangierten Hochzeit mit Otto starb, ebenfalls mit Namen genannt. Die Gebeine ruhen noch immer in der Welfentumba, wenn auch in neuer Kiste. Denn die letzte hatten die Nationalsozialisten 1935 angefertigt, als sie die Königsgebeine für eine wuchtige Granitgruft im Braunschweiger Dom exhumierten. Auf dem Kistendeckel prangte das Hakenkreuz. So viel posthumen Schmäh wollte man dem vergessenen und ungeliebten Otto dann doch nicht antun.

Otto IV. – Traum vom welfischen Kaisertum, Braunschweigisches Landesmuseum, Burgplatz 1, bis 8. November. Wissenschaftlicher Katalog (Imhof-Verlag) 29,95 Euro. Infos unter www.ottoIV.de

Christina Tilmann

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