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Foto: Arne Dedert/dpa

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Poesie: Welt im Konjunktiv

Ihre Dichtung war geprägt von Ironie und Raffinesse: Nun ist die polnische Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska mit 88 Jahren in ihrer Wahlheimat Krakau gestorben.

„Mit der Beschreibung der Wolken müsst’ ich mich sehr beeilen“, bemerkte Wislawa Szymborska einmal. Diese luftige Unmöglichkeit kennzeichnet vortrefflich die Haltung einer Frau, die die „Welt im Konjunktiv“ sah, wie der Literaturkritiker Jerzy Kwiatkowski meinte. So schien es möglich, dass das heruntergekommene Renaissanceschloss Villa Decius in ihrer Wahlheimat Krakau etwas mit ihrem Übersetzer Karl Dedecius zu tun haben könnte. Bei einem seiner Besuche in Polens heimlicher Hauptstadt, schreibt Dedecius in seiner Autobiografie „Ein Europäer aus Lodz“ (2006), hätten ihn die Dichterin und ihr Lebensgefährte Kornel Filipowicz zu einem Ausflug ins Grüne überredet, nach Besuchen in Antiquariaten und Kaffeehäusern.

Mitten in einer vorstädtischen Parklandschaft stießen die drei auf ein „Märchenschloss im Spinngewebenetz“, das sich als Sanatorium entpuppte. Wislawa Szymborska hatte für den verdutzten Karl Dedecius ein Treffen mit der Chefärztin arrangiert. Auf der säulenumstandenen Freitreppe stellte sie ihn als „Herrn Karl de Decius“, Nachfahre des ersten Besitzers“ vor. Der vorläufige Höhepunkt dieser von Szymborska arrangierten Fügung war 1996 die Eröffnung des von Grund auf renovierten Palais als europäisches Kulturzentrum und neues Wahrzeichen der Stadt. Häufig traf sich dort die Dichterin mit ihrem Übersetzer, der 1959 mit der Lyrik-Anthologie „Lektion der Stille“ den Grundstein für die Polnische Bibliothek legte. „Sic tacent – clamant“, wenn sie schweigen, dann schreien sie: Dieses durchaus politisch zu verstehende Bonmot charakterisiert auch die ersten lyrischen Versuche der nach außen hin so zurückhaltenden, raffiniert ironischen Szymborska.

Am 2. Juli 1923 in Kórnik bei Posen geboren, kam sie mit acht Jahren nach Krakau, wo sie später an der ehrwürdigen Jagiellonen-Universität Polonistik und Soziologie studierte. „Szymborska war keine Globetrotterin, sie reiste ungern, war an ihren Mutterboden wie angewachsen. Einsprachig“, schreibt Dedecius. 1945 veröffentlichte sie ihr erstes Gedicht in einer Tageszeitung. Bereits ihr noch sehr angepasstes Debüt „Darum leben wir“ und der Band „Fragen an mich selbst“ (1952/54) brachten ihr bedeutende Preise wie das Goldene Verdienstkreuz der Republik Polen ein.

Doch 1957 erfolgte mit „Anrufung des Yeti“ der Umbruch hin zum eigentlichen Szymborska-Ton. Er ist gekennzeichnet durch ausgeprägtes Formbewusstsein und kristalline Klarheit, die auch ihre Prosaminiaturen prägen. Wislawa Szymborskas „Weisheit der Poesie“ wird besonders in jenen Gedichten deutlich, in denen sie ihr Handwerk ironisch reflektiert. Zum Klassiker wurde „Freude am Schreiben“ aus dem Jahr 1967: „Über dem weißen Blatt lauern sprungbereit / Buchstaben, die sich schlecht fügen könnten, / belagernde Sätze, / vor denen es keine Rettung geben wird.“ Nach diesem fatalistischen Auftakt findet das lyrische Ich durch Fragen zu neuer Stärke, ja zu Optimismus: „So gibt es also eine Welt, / deren unabhängiges Schicksal ich bestimme? / Eine Zeit, die ich binde mit Ketten von Zeichen? Eine Existenz, beständig durch meine Verfügung? / Freude am Schreiben. / Möglichkeit des Erhaltens. / Rache der sterblichen Hand.“

Auch in Liebespoemen wie „Wenn du gehst“ (1959) bricht sich Szymborskas „negative Poetik“ Bahn: „Sieht er an mir vorbei / such ich mein Spiegelbild / an der Wand. Und sehe nur / den Nagel, ohne Bild.“ Sie wurde von der Philosophie Sartres und Heideggers beeinflusst, wie etwa ihr Gedicht über das „Nichten des Nichts“ verriet.

Interviews waren Szymborska zuwider, sie verwies lieber auf ihr vielbändiges Werk, das 1996 mit dem Literatur-Nobelpreis gekrönt wurde. In Stockholm wurde sie als „Mozart der Poesie“ gewürdigt, der mit der „Wut Beethovens“ schreibe. Eine Ausnahme von ihrer Öffentlichkeitsscheu machte die Lyrikerin vor zwei Jahren für Katarzyna Kolenda-Zaleskas Dokumentarfilm „Manchmal ist das Leben erträglich“. Darin bekannte sie sich zu Nippes und Boxkämpfen und mokierte sich als passionierte Raucherin über die mangelnde Schaffenskraft der Nichtraucher.

Im Januar letzten Jahres erhielt sie im Krakauer Wawel, der einstigen Königsresidenz, die höchste polnische Auszeichnung, den Orden des Weißen Adlers. Am Mittwochabend ist Wislawa Szymborska, Polens größte Dichterin, im Alter von 88 Jahren gestorben. Ihr Tod bewegt das ganze Land. Katrin Hillgruber

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