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Kashgar

© Archivfoto: Getty

Weltkultur: Anschlag auf ein Menschheitserbe

In den nächsten drei Monaten will China die über tausendjährige uigurische Altstadt von Kashgar auslöschen.

Als die Taliban während ihrer Herrschaft in Afghanistan 2001 die monumentalen Buddha-Statuen von Bamiyan mit Dynamit zerstörten, protestierte die zivilisierte Welt dagegen. Vergleichsweise (noch) unbemerkt ist nun offenbar ein ähnlich barbarischer Akt der Kultur-Vernichtung in der chinesischen Provinz Xinjiang im Gange. Die von mittelalterlichen Basaren, Moscheen und Karawansereien geprägte Altstadt von Kashgar, der ursprünglichen uigurischen Hauptstadt, soll nach glaubwürdigen Berichten binnen drei Monaten zu etwa 85 Prozent abgerissen werden.

So wurde am Morgen des 15. Juni, wie Augenzeugen schildern, die aus dem 11. Jahrhundert stammende Xanliq Madrasa – eine historische Koran- und Gelehrtenschule – bereits von Bulldozern zerstört. Die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen hat soeben eine 30-seitige Dokumentation unter dem Titel „Schatz der Seidenstraße in Gefahr – Chinas Behörden lassen Altstadt Kashgars niederreißen“ ins Internet gestellt. Darin wird, wie in anderen Quellen, die Bedeutung der in Schutt und Staub versunkenen Madrasa für die in China um ihre kulturelle und soziale Identität kämpfenden knapp neun Millionen Uiguren betont: Der Bau verkörperte „die jahrhundertealte Tradition philosophischer und religiöser Studien“ der muslimischen Mehrheitsbevölkerung im einstigen Ostturkestan. An der zerstörten Madrasa hatte Mahmud ibn Hussayn ibn Muhammad al-Kashari gelehrt, der im Jahr 1072 mit dem „Kompendium der Sprache der Türken“ das erste und bis heute für die Kulturen zwischen Westchina und dem Bosporus grundlegende Lexikon aller Turksprachen veröffentlichte.

Fotos zeigen den historischen Kern des derzeit von etwa 350 000 Menschen bewohnten Kashgar als dichte, baulich weitgehend noch homogene Altstadt mit traditionellen Lehm- und Ziegelhäusern, mit schön ornamentierten Wohn- und Prachtbauten im spitzbogigen, von Europäern als maurisch empfundenen Stil der islamischen Architektur. Im nächsten Vierteljahr sollen nun tausende Häuser abgerissen werden: auf Anordnung der chinesischen Provinzregierung in der zurzeit so blutig umkämpften neuen Verwaltungshauptstadt Urumqi. Die aktuellen Proteste der Uiguren werden durch die Vorgänge in und um Kashgar nur noch verständlicher. Protestiert wird gegen ein Stück massiver Kulturvernichtung übrigens auch von chinesischen Kennern. Die zentrale Denkmalbehörde in Peking hat ihren Widerspruch angemeldet, ebenso einige chinesische Kulturwissenschaftler, doch offenbar ohne Erfolg.

Die Zerstörung von Kashgar ist auch ein Fall für die Unesco. Die Stadt gehört zwar nicht zu den Weltkulturerbe-Stätten, weil China als nationaler Antragsteller überwiegend nur Orte bei der Unesco anmeldet, die weitgehend unbewohnt sind und für industriepolitische oder stadtpolitische Projekte nicht infrage kommen. Einem anderen Bericht zufolge wurde Kashgar sogar wieder von einer regierungsoffiziellen Anmeldungsliste gestrichen. Eine kürzlich verfasste Online-Petition an das Welterbekomitee trägt bereits 6500 Unterschriften. Historische Stätten an der Seidenstraße gelten bei der Unesco, deren Mitglied China ist, generell als schützenswertes „Menschheitserbe“.

Die chinesischen Behörden argumentieren, dass in Kashgar anstelle der Altbauten für umgerechnet etwa 440 Millionen Dollar erdbebensichere Wohnungen für 50 000 uigurische Familien, also für rund 220 000 Menschen entstünden. Bewohner Kashgars bezweifeln diese Begründung. „Unsere Häuser haben 2000 Jahre lang Erdbeben widerstanden“, zitiert eine Reporterin der Londoner „Times“, die im Juni Kashgar bereiste, einen der künftig Vertriebenen. Asgar Cam, seit über 20 Jahren in München im Exil lebender Uigure und Vizepräsident des „Weltkongresses der Uiguren“, sagte dem Tagesspiegel: „Die historischen Lehmbauten sind viel sicherer als die Betonhäuser der Chinesen. Das haben schon frühere Beben gezeigt. In Wirklichkeit geht es darum, das alte Basarviertel mit seinen engen, winkligen Gassen abzureißen. Dort ist für die Sicherheitskräfte die Überwachung schwierig. Die chinesischen Pläne sehen nun breite, gerade Straßen mit linear aufgereihten Betonbauten und überall installierten Überwachungskameras vor.“

Sarkastisch heiße es in Kashgar jetzt: „Statt 2000 Jahren Geschichte kriegen wir 2000 Kameras.“ Kashgar, sagt Asgar Cam, „ist für uns Uiguren noch immer die eigentliche kulturelle Hauptstadt. Dort sollen jetzt die einzigartigen Zeugnisse unserer Geschichte einfach weggesprengt werden.“ China will für Touristen künftig nur noch eine kleine „Museumsinsel“ in Kashgar erhalten. Am heutigen Freitag ab 15 Uhr wollen Menschenrechtsorganisationen und der Uigurische Weltkongress auch hier vor der Chinesischen Botschaft in Berlin-Kreuzberg demonstrieren und dann in einem Protestzug zum Brandenburger Tor ziehen.

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