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Nur keine Angst vor Tropenschauern. Die Arena da Amazônia in Manaus. F

© oto: Michael Kuhn

Architektur: Weltmeister im Stadionbau

Die schönsten Fußball-Arenen für die WM in Brasilien haben deutsche Büros entworfen.

Wenn am Donnerstag in Brasilien die Fifa-WM angepfiffen wird, stehen die Deutschen schon als Weltmeister fest – als Weltmeister im Stadionbau. An der Errichtung von sechs der zwölf Spielstätten waren deutsche Architekten und Ingenieure beteiligt. Welt- und Erdteilmeisterschaften im Fußball sind, ähnlich den Olympischen Spielen, für die ausrichtenden Länder ein Kraftakt. Ein Wochen dauerndes Medienereignis rollt wie ein Tsunami übers Land. Für viele tausend Gäste aus aller Welt werden Hotels, öffentlicher Nahverkehr, Autobahnen und Flughäfen gebraucht, und zwar alles auf Premium-Niveau, wie es die mächtigen Fußballverbände Fifa und Uefa diktieren.

Der Aufwand ist so groß geworden, dass sich neuerdings Nachbarstaaten zusammentun, um ein solches Großereignis auszurichten, 2002 Japan und Südkorea, 2008 die Schweiz und Österreich, 2012 Polen und die Ukraine. Niemals genügt eines der vorhandenen Stadien auch nur annähernd den überzogenen Anforderungen der Fußballverbände, und so kommt es, dass alle zwei Jahre in den Ausrichterländern ein Dutzend neuer oder umgebauter Großstadien eröffnet wird.

Entworfen wurden die Arenen bisher meist von Architekten aus den angelsächsischen Ländern. Seit der WM 2006 in Deutschland sind deutsche Architektenteams weltweit gefragt, RKW und HPP aus Düsseldorf, Schulitz aus Braunschweig, allen voran aber von Gerkan, Marg und Partner (gmp) Hamburg/Berlin/Aachen, die inzwischen als Marktführer gelten. Weit über 60 Stadien haben sie entworfen, zwei Dutzend sind realisiert oder im Bau, ob in Europa, Afrika, Nahost, China oder Südamerika. Und immer sind es die funktionalsten, die elegantesten, die schönsten Arenen, mit denen sich die Städte schmücken können.

Fragt man nach den Gründen, so geraten immer die Tragwerke ins Blickfeld. Die entstehen bei gmp meist in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren Schlaich, Bergermann und Partner aus Stuttgart. Als Tandem haben sie Standards gesetzt. Ihre Seiltragwerke, mit denen sie die größeren Stadien überspannen, betören durch Fragilität und Leichtigkeit und sind an Materialeffizienz kaum zu übertreffen. Zum Vergleich: Beim Tragwerk des Olympiastadions in Peking („Bird’s Nest“) beträgt das Verhältnis des Eigengewichts zur Nutzlast 85:15, in Kapstadt 42:58; das bedeutet eine Baustahl-Ersparnis von mehreren zehntausend Tonnen. Solche Tragwerke kamen nun auch in Brasilien zur Anwendung. Beispielsweise im legendären Maracanã in Rio de Janeiro.

In Brasília betritt man "heiligen Boden der Moderne"

Mit der Pracht eines Saturnrings. Das Stadion in der Hauptstadt Brasília.

© Marcus Bredt

Das Stadion ist für alle Zeit mit dem brasilianischen Trauma verbunden, der Endspielniederlage gegen Uruguay bei der WM 1950, für die es errichtet wurde. Das Baudenkmal durfte beim Umbau durch die brasilianischen Architekten in seiner äußeren Erscheinung möglichst nicht verändert werden. Nicht mehr zu halten war jedoch das marode Betondach, das ohnehin nur knapp die Hälfte der Plätze überdeckte. Schlaich, Bergermann und Partner entwarfen ein ultraleichtes Membrandach mit Seiltragwerk, dessen äußerer Druckring auf den Bestandspfeilern aufliegt. Das extrem flache Dach fügt sich in den Bau so ein, dass es vom Straßenniveau aus nicht zu sehen ist. Im Inneren der Arena erzeugt es eine zauberhafte Stimmung.

In Belo Horizonte, eine knappe Flugstunde weiter nördlich, könnte die deutsche Mannschaft das Halbfinale bestreiten. Die deutschen Ingenieure kamen dort nicht zum Zug, weil während der Planung das Baukonsortium gewechselt hatte. So bekam der malerisch am Pampulha-See gelegene, expressive Bau in béton brut aus den sechziger Jahren ein von heimischen Ingenieuren geplantes, wesentlich weniger elegantes Rohrfachwerkdach verpasst.

Die Entwurfs- und Ausschreibungsplanungen für die Stadionschüssel hatten die Architekten von gmp im Team mit dem brasilianischen Architekten Gustavo Penna erarbeitetet und trotz vieler Widrigkeiten weitgehend umsetzen können. Die Amazonas-Metropole Manaus ist nur per Schiff oder Flugzeug zu erreichen, eine ungewohnte Herausforderung für die Architekten von gmp und ihre Stuttgarter Ingenieure. Die vielleicht schönste der WM-Arenen Brasiliens mit seinem sanft gerundeten Tribünenoval wird umhüllt von einer korbartigen Großform, bei der Fassaden und Dach mit durchlaufenden Rippen ineinander übergehen. Die Rippen wirken als breite Rinnen, in denen die Sturzbäche der tropischen Regengüsse abgeleitet werden. Die Fächer dazwischen sind mit Glasfasermembranen geschlossen, die tagsüber Licht einlassen und abends das Stadion von innen heraus zum Leuchten bringen.

Die Architekten hatten zuvor Studien über die Farben des Landes getrieben, die kraftstrotzenden Grüntöne des Regenwalds, die schlammbraunen Wasserfluten und die roten Erden der Bodenkrume, aber auch die leuchtende Farborgie der tropischen Früchte auf den Märkten. Die vorgefundenen Farben tauchen beim Stadion wieder auf, als Leit- und Ordnungsfarben, bei Bodenbelägen und Wandpaneelen. Wie meist haben die Architekten auch für die Farbgebung der Sitzschalen im Stadion Manaus ein Pixelmuster entwickelt, das in der Gesamtschau ein flirrendes, fröhlich wirkendes Bild ergibt.

In der Hauptstadt Brasília, auf „heiligem Boden der Moderne“, in Niemeyers und Costas zum Weltkulturerbe zählendem städtebaulichen Ambiente, war das marode Stadion von 1978 zu erneuern. Von Gerkan, Marg und Partner sowie Schlaich und Bergermann bekamen wieder den Auftrag, Dach und umlaufende Erschließung zu planen, während der Sohn des ursprünglichen Erbauers, Eduardo Castro Mello, die Stadionschüssel erneuern sollte.

Eine zeichenhafte Großform sollte das Bauwerk bekommen, die mit den kraftvollen Regierungsbauten Oscar Niemeyers mithalten kann. 288 in drei konzentrischen Ringen aufgestellte, 36 Meter aufragende Betonstützen tragen den Druckring der Dachkonstruktion, einen Betonreif, der wie ein Saturnring das Stadion umkreist und von dem aus nach innen das Seildach gespannt ist. Das Stadion hat eine enorme optische Präsenz in der Stadt. Als Bautypus ist es weltweit ohne Beispiel. Es hat die Qualität eines neuen Wahrzeichens für die Hauptstadt Brasiliens.

Auch wenn die Kameras beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft durch das Stadionrund schwenken, werden sie Bilder eines in Deutschland geplanten Stadions zeigen. 2008 hatte es in Salvador da Bahia einen Architektenwettbewerb ohne die übliche Aufgabenstellung gegeben. Schulitz und Partner aus Braunschweig überlegten sich einfach selbst, wie groß das Stadion sinnvollerweise sein müsste. So an die 55 000 Plätze wären angemessen, dachten sie, legten einen perfekten Entwurf vor und konnten die Konkurrenz für sich entscheiden. Von der anvisierten Zahl der Plätze zog das ausführende Baukonsortium später kurzerhand zehn Prozent ab.

Claas Schulitz zog ein halbes Jahr nach Brasilien, um das Projekt voranzutreiben. Zum Confed Cup 2013 war die Arena Fonte Nova in Salvador einsatzbereit – keine geringe Leistung, wie Kenner des Landes betonen, angesichts der bürokratischen Hindernisse und der Korruption. Von außen sieht die Arena mit ihren Lamellenfassaden aus wie ein Weidenkorb. Auch hier schwebt über allem das zeltartige Seiltragwerk einer in Stuttgart entworfenen Dachkonstruktion.

Für die deutschen Architekten war die Arbeit in Brasilien eine große Umstellung, ist es doch dort üblich, dass Baufirmen einen Architektenentwurf übernehmen und nach eigenem Gutdünken realisieren. Qualitätskontrolle und Baubegleitung bis zur Eröffnung sind sie nicht gewohnt, auch nicht deutsche Gründlichkeit. Sie kommt ihnen zuweilen arrogant vor, worauf sie sehr emotional reagieren können. Dass die Stadien zwar nicht wie geplant, aber mehr oder weniger rechtzeitig fertig werden sollen, finden jedenfalls in Brasilien alle außer den Deutschen völlig normal. Im Stadion von São Paolo, wo das Eröffnungsspiel steigt, wurde noch wenige Tage vor dem Auftakt geschraubt.

Falk Jaeger hat im Jovis Verlag, Berlin, das soeben erschienene Buch „3+1 Stadia for Brazil“, deutsch/englisch, 232 Seiten mit 150 Abbildungen, 38 Euro, herausgegeben.

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