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Weltmusik: Die wohltemperierte Oud

Ach, Weltmusik: Anouar Brahem beim Berliner "Shared Sounds"-Festival

Von Gregor Dotzauer

Als ob es noch Musik gäbe, die an einen bestimmten Ort gebunden ist. Man mag den faulen Frieden beklagen, mit dem reale Konflikte zwischen den Kulturen weltfolkloristisch niederkartätscht werden: Wo der Okzident sich nicht mehr kolonial gebärdet, unterwirft sich der Orient manchmal freiwillig. Man muss aber auch sehen, wie einst Unvereinbares als Verwandtes erkennbar wird. Zum Beispiel bei Björn Meyer, dem in der Schweiz lebenden schwedischen Bassisten im Quartett des tunesischen Oud-Spielers Anouar Brahem, das am Sonntag zum Abschluss des viertägigen „Shared Sounds“-Festivals im Berliner Radialsystem spielte.

Aufgewachsen ist Meyer mit Kubas westafrikanischen Rhythmen, hat sich dann in komplizierte Flamenco-Pattern hineingefuchst, von da aus die walzerhafte Polska-Folklore seiner schwedischen Heimat entdeckt, mit Jazz-Elementen aufgeladen – und nun entdeckt, dass ihn nichts besser auf die Finessen arabischer Melodien hätte vorbereiten können. Nicht nur in Sachen Tonumfang bildet er mit seinem sechssaitigen Bass die Antithese zu Brahem, sondern auch in Bezug auf dessen Herkunft. Brahem nämlich hat sich aus seiner maghrebinisch-ägyptischen Tradition in Richtung Jazz bewegt und dabei die Vierteltöne der arabischen Musik kassiert, die westlichen Ohren zunächst als unsauberes Spiel erscheinen. Sonst aber lässt er seine bundlose, doppelchörige Kurzhalslaute mit dem abgeknickten Wirbelkasten so herrlich trocken schwirren, wie ihr birnenförmiger Leib es will. Und wenn Brahem bei seinen Kompositionen dann noch mitsummt oder bei halb geöffnetem Mund mitsingt, ist man seiner geschmackvollen, konzentrierten und virtuosen Musik ausgeliefert.

Sie ist aber auch von einer elegischen Gleichförmigkeit, die weder die Beschleunigung, den Ausbruch, die Ekstase kennt noch den entschiedenen Weg ins Innere, auf dem sich der einzelne Ton am liebsten selbst verschlucken würde. Melancholie wird hier schon für Spiritualität gehalten, obwohl jeder einzelne Spieler das Zeug dazu hätte, die Grenzen eines solch wohltemperierten Orientalismus zu überschreiten. Für Sekunden kratzt dann Klaus Gesing mit seiner Bassklarinette an der Oberfläche dieser Musik, als würde sich ein Schrei anbahnen. Der Libanese Khaled Yassine durchkreuzt mit prasselnden Darbuka-Fingerspitzen die rhythmischen Module der Stücke, und Brahem schwebt mit einer feinstofflichen Beseeltheit durch die gerade mal zwei Oktaven seines Instruments, als könnte er sie ins Unendliche öffnen. Doch gleich kehren alle wieder zurück in die Sanftheit eines Gewoges, in dem das Somatische alsbald auch etwas Sedierendes bekommt und aus den Kulissen nur noch fein krawattierte Kellner treten müssten, um zur Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens einen thé à la menthe zu servieren.

Das Enttäuschendste an Brahems neuem Quartett ist, dass diese Musik in all ihrer vornehm ausbalancierten Schönheit weder neu noch frisch klingt. Als Idiom betrachtet, ist sie, erweitert um einige weltmusikalische Akzente, hart an der Plansollerfüllung der Klischees, die dem Sound von Manfred Eichers ECM Records seit vierzig Jahren zum Vorwurf gemacht werden, ohne dass sie auf die Breite seiner Produktion je zugetroffen hätten. Wie viel beweglicher in ihren Konzepten sind Brahems große Konkurrenten auf der Oud im Jazzkontext, der Tunesier Dhafer Youssef und der Libanese Rabou Abou-Khalil. Und wie viel lebendiger in der Auffrischung traditioneller Spielweisen der Palästinenser Adel Salameh, der die Affinitäten der arabischen zur indischen Musik untersucht hat, oder der Iraker Naseer Shamma, der seinem Instrument andalusische Klänge abzulauschen versucht hat. Aber bei Brahem hat das wohl weniger mit einem Mangel an weltmusikalischer Gewandtheit als mit einem Übermaß an Gefälligkeit zu tun.

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