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Kultur: Wenn das Popcorn dreimal knistert

Von Peter W. Jansen Die Jury, hiess es, war sich schnell einig.

Von Peter W. Jansen

Die Jury, hiess es, war sich schnell einig. Der Internationale Preis für Film- und Medienmusik ging an den Russen Leonid Desyatnikow für die Musik zu dem Film „Moskau" seines Landsmanns Alexander Seldowitsch. In der Jurybegründung wird an diesem Score vor allem die Vielschichtigkeit gerühmt, die in der Tat von traditionellen orchestralen Partien bis zum popartistischen Disco-Sound reicht. Einheitlich ist diese Musik ebensowenig wie die eher episodisch angelegte Geschichte, die in „Moskau" erzählt wird. Es ist eine Erzählung, in der thrillerhafte Elemente einer mafiosen Intrige sich mit denen einer verwickelten, von tiefer Melancholie triefenden Liebesaffäre, vom schnellen Verzehr sexueller Angebote sowie von Mord und Selbstmord paaren, in der also die klassische Hochzeit von Sex and Crime, Geld und Verbrechen noch einmal gefeiert wird. Und imprägniert ist das von der durchaus eher modischen als modernen russisch aktuellen Dekadenz.

Dramaturgisch passen sie zusammen, die Bilder und die Töne, die Filmerzählung und ihre Musik, und dass vieles davon sich der Ästhetik und Sprache des Videoclips verdankt, liegt im aktuellen Trend. Auch andere der von einem Auswahlausschuss aus 120 Anmeldungen ausgesuchten 15 Filme des Wettbewerbs, darunter etwa „alaska.de", ließen ein ähnliches Muster erkennen. Die Frage nach der „richtigen" Musik kann keine allgemeingültige Antwort kennen, sondern immer nur eine, die subjektiv auf den jeweiligen Film bezogen ist, So wären, mit einem anderen Kriterium als dem der vielschichtig auslegbaren „Vielschichtigkeit", auch der Score zu Mohsen Makhmalbafs „Reise nach Kandahar" mit seinen liedhaften folkloristischen Elementen preiswürdig gewesen, oder der leitmotivisch eingesetzte langsame Walzer von Michael Galasso zu Wong Kar-Weis „In the Mood for Love", eine dominante Musik, auf die die Bildführung vielleicht eine Idee zu prätentiös mit der rhythmischen Anpassung durch eine leichte Slowmotion reagiert. In diesen Fällen, in denen die Musik der Geschlossenheit des filmischen Werks entspricht, macht der Ton nur eine andere Musik und macht die Musik einen anderen Film.

Es gehört zu den unverzichtbaren und leider viel zu selten präsentierten Angeboten einer Veranstaltung wie der von der Bundeskunsthalle ausgerichteten Bonner Filmmusikbiennale - die man sich alljährlich wünschen möchte -, dass Filme, die man schon zu kennen meinte, auf einmal ganz neu erscheinen. Weil man sie endlich nicht nur sieht, sondern wirklich hört, bewusst hört. Weil man mit ihnen verfährt, wie es die kommerziellen Filme des Mainstreams nicht zulassen wollen, da sie das kontrollierte Hören nicht vertragen, dieses herbe Aroma im penetranten Popcorngeruch.

Filme der im Kino führenden Kategorie waren in Bonn nicht dabei. Man sollte vor ihnen schon deshalb nicht zurückschrecken, weil es der Mühe wert wäre, ihrer musikalischen Strategie von Überredung und Manipulation mit ein paar Dissonanzen auf die Schliche zu kommen. In der allgemeinen Musiküberflutung durch Kino, Fernsehen, Videos, Computerspiele, die taub zu machen droht gegen differenzierte Töne und gegen die tatsächliche Aussagekraft von Musik, in dieser Gleichmacherei, in der Musik fast nur noch als Geräusch wahrgenommen wird, braucht die weithin vernachlässigte Filmmusik einen Ort. Die parallel zu den Wettbewerbsvorstellungen anberaumten Workshops, in denen von Theorie und Praxis der Filmmusik gehandelt wurde, leisteten da eine Menge.

Als die der vielfältigen Exegese zugängliche Bibel gilt immer noch die seit sechzig Jahren nicht überholte Arbeit von Adorno und Eisler zur Musik im Film. Vorausgesetzt, man folgt der Forderung nach Sparsamkeit nicht sklavisch bis zu dem Punkt, an dem die Filmmusik überflüssig wird. Denn wenn es nicht schon die Theorie ist, die über Adorno/Eisler hinausgegangen ist, so sind doch manche ihrer Thesen von der Praxis dementiert worden. Es bleibt, dass alle Theorie über Filmmusik auf einen Widerspruch hinausläuft, der nur durch die Praxis der Filmmusik aufzuheben ist. Die Musik soll man nicht hören im Film, die Musik muss man hören im Film. Für beide Forderungen hält die Filmgeschichte so viele gelungene Beispiele, so viele Glücksmomente bereit, dass man sich des Kinoglücks berauben würde, wollte man nur eine der beiden Forderungen gelten lassen. Das ist mit der Musik im Film nicht anders als mit der Kameraführung. Auch da gibt es die Dichotomie der Rigorositäten. Da gibt es Eisenstein, der schon die entfesselte Kamera Karl Freunds ablehnte - und wie sehr würde er erst die Stadycam verteufeln -, und da gibt es Orson Welles und Pier Paolo Pasolini, die forderten, dass man die Kamera spüren müsse. Noch steht eine Theorie aus, die Musikscore und Kameraführung als die beiden Seiten ein und derselben Münze erkennt, so fest sind sie miteinander verschweisst. Auch darüber nachzudenken, wäre die Biennale der Filmmusik der dringend benötigte Ort.

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