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Meisterin des virtuosen Mienenspiels: Olivia Colman als bibelfeste Jungfer Edith Swan.

© Parisa Taghizadeh/Studiocanal

Wenn Frauen fluchen: Olivia Colman in der Komödie „Kleine schmutzige Briefe“

Sie ist ein Star, vor allem in England, hat Königinnen gespielt und wird für ihr komisches Talent geliebt. In „Kleine schmutzige Briefe“ spielt Olivia Colman eine gottesfürchtige Jungfer. Aber wie!

Kaum zu glauben, dass die Story im Kern auch noch wahr ist. Hochaktuell ist sie allemal. Vor gut hundert Jahren erschütterte ein Skandal das ländliche Sussex, als dort in einem kleinen Küstenort unflätige Briefe kursierten, im Zuge eines Nachbarinnenstreits. Die vermeintliche Verfasserin der Verbalinjurien landete alsbald im Gefängnis. Bis sich herausstellte, wer jene in Schönschrift verfassten Zoten in Wahrheit abgeschickt hatte. Der Fall beschäftigte um 1920 sogar das Londoner Unterhaus.

Die historischen Briefe, bei denen „stinkendes Miststück“ und „fuchsteufelsgeile Hure“ noch zu den höflicheren Anreden gehören, werden im Film wörtlich zitiert. Hatespeech in den Medien, Fakenews, Diskriminierung, Xenophobie, Klassismus: Sämtliche Sujets, die Thea Sharrocks Komödie „Kleine schmutzige Briefe“ mit den Mitteln der Groteske verhandelt, kommen einem bekannt vor.

Auch die Sache mit dem Sexismus am Arbeitsplatz. „Wenn ich Oliver Colman wäre, würde ich verdammt viel mehr verdienen, als ich es tue“, sagte Hauptdarstellerin Olivia Colman gerade auf CNN, zum Thema Ungleichbezahlung von Filmstars.

Der Schauplatz: Littlehampton, ein Küstenstädtchen wie aus dem Bilderbuch. Der Skandal, vom britischen Comedian Jonny Sweet drehbuchgerecht adaptiert: Die gottesfürchtige Jungfer Edith Swan (Olivia Colman), die immer noch bei ihren Eltern wohnt, bekommt eine ganze Reihe dieser mit Beschimpfungen gespickten Briefe. Der gestrenge Vater (Timothy Spall) schaltet die Polizei ein. Für die Obrigkeit ist schnell klar, die Schreiben können nur von der lebenslustigen Nachbarin Rose (Jessie Buckley) stammen, dieser Frau mit losem Mundwerk, kleiner Tochter und liebevoll ergebenem Partner.

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Das Kruzifix an der Schlafzimmerwand wackelt

Für kurze Zeit waren Edith und Rose zwar Freundinnen. Aber eine zugezogene Irin, die nicht wenig trinkt, gern mal eine raucht und im Pub die Männerrunden aufmischt, gehört die überhaupt hierher? Eine Nachbarin, die mit ihrem nächtlichen Treiben Wand an Wand sogar das Kruzifix an der Schlafzimmerwand zu den Swans ins Wackeln bringt, die nichts auf Sitte und Anstand gibt? Bald ist Schluss mit der Frauenfreundschaft.

Das Urteil der Bürger und des Gerichts von Littlehampton steht schnell fest. Erst recht, als bald fast jeder im Ort solche Briefe bekommt. Nur die Polizistin Gladys (Anjana Vasan, das historische Vorbild war die erste Ordnungshüterin in Sussex) hegt Zweifel und fordert einen Handschriftenabgleich. Ihre Macho-Kollegen bügeln sie jedoch kalt grinsend ab.

Also hilft nur noch klandestine Ermittlungsarbeit, zusammen mit anderen unerschrockenen Frauen aus dem Ort. Parole Letterbox: Gladys und die Detektivinnen begeben sich auf die Spur – wen sie am Ende als Urheber der Briefe überführen können, sei hier nicht verraten.

Regisseurin Sharrock kommt vom Theater. Vielleicht trägt ihre Komödie über männliche Dominanz, weibliche Solidarität und die Bigotterie einer ach so beschaulichen Gemeinde deshalb vor allem bei der Schauspielerei dick auf. Markante Physiognomien, rüde Wortwechsel in der Amtsstube, supermiese Kerle, supergewitzte Frauen: Manchmal wähnt man sich in der kolorierten Fassung eines frei nach George Grosz karikierten Sittenbilds von Kleinbürgern in der englischen Provinz.

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Das virtuose Mienenspiel von Olivia Colmans bibelfester Jungfer entschädigt dafür. Alleine wie Edith beginnt, ihren Opferstatus und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu genießen, von den Zeitungsartikeln über ihren Fall bis zur Neugier im Kreise der Whist-Damen in der christlichen Gemeinde. Noch schöner, wie sie ihre Miene gleich wieder festzurrt, da sie sich diesen Genuss selbstverständlich verbietet.

Ekel, Pikiertsein, Neid, Rachegelüste, die Unterdrückung durch den Vater, die Sehnsucht nach einer Freiheit, wie Rose sie verkörpert – Colman offenbart all das mit minutiös (und auch maliziös) zuckenden Mundwinkeln.

Eine gehobene Augenbraue, ein konsternierter Blick: Die für ihre Queen Ann in „The Favourite“ mit dem Oscar prämierte Schauspielerin ist nicht nur eine Meisterin des royalen, sondern auch des komischen Fachs. Wenn sie in der Fehde mit Rose doch mal selber ins Fluchen gerät, ihr Lebensfrust sich entlädt und sie zugleich um Contenance ringt, herrlich! Vielleicht sollte auch unsereins öfter mal fluchen.

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