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Kultur: Wenn Intelligenz schwärmt

Hype – wie geht das? Eine Berliner Filmdebatte.

Wäre es nach dem gesetzten Thema gegangen, dann hätte der wegen der Macht der Majors gern grundzerknirschten Filmkritik einmal mehr das letzte Stündlein geschlagen. Tenor: Die Rezensenten verreißen, aber alle rasen ins Kino. Die Rezensenten jubeln, aber niemand geht rein. Und nur ganz selten kommt es zum erfreulichen Ereignis namens Hype, das Kritiker und Publikum verbindet.

Georg Seeßlen und Bert Rebhandl aber, renommierte Leute vom Fach, machen sich nicht viel aus anderweitigen Fragestellungen. In der gut besuchten Akademie der Künste betreiben sie am Montagabend vielmehr die fürsorgliche Belagerung des so populären wie wenig analysierten Begriffs selbst. In seinem Vorweg-Referat sieht Kritikerkollege Frédéric Jaeger im Hype einen „diffusen Ausgangspunkt“, der autoritär ein „Kann in ein Muss“ verwandelt. Unstrittig auch, dass Hype sich von Hyperbel, also Übertreibung, herleitet. Nur: Wer macht ihn?

Erst langsam werden im flink dahinperlenden Zwiegespräch durchaus konträre Positionen sichtbar. Bert Rebhandl sieht in Hype eher eine normative Kraft, die Kritiker im besten Fall – etwa gemeinsam bei einem Festival – selber generieren oder der man, mit kaum geringerem Vergnügen, „die Luft ablässt“. Die rumänische Nouvelle Vague, wie sie sich in den Filmen von Cristi Puiu manifestiert? Großartig. Quentin Tarantino? Beutet seinen Hype mit wenig ironietauglichen Themen nur noch aus. Und Michael Haneke, den neuerdings alle wegen „Liebe“ lieben? Ist zum Reinhard Mey des europäischen Großkinos geworden.

Seeßlen umspielt seinen Gegenstand lieber deskriptiv. Scharfe Urteile wie die Rebhandls gehören für ihn zum Gesamtphänomen. „Jeder Hype braucht seine Spielverderber.“ Den Begriff selbst sieht er als historischen Nachfolger des oft bloß lancierten Kunstskandals, „und wir fallen ja so gerne drauf rein!“ Seit Tarantinos „Pulp Fiction“ sei der Hype eine Kulturtechnik unter vielen, die man nicht als Angriff auf die eigene Urteilskraft missverstehen sollte. Eher als ein erlösendes, nahezu mythisches Ereignis: „Da springt jemand, und wir dürfen mitspringen.“

Keine Frage, Seeßlen beobachtet sogar die eigene Mitgerissenheit vergnügt, während Rebhandl lieber an den Reglern dreht. Zwar kommt die Frage nach den Nutznießern der Glücksgerüchte, überwiegend die großen Studios, an diesem Abend zu kurz, was aber bei derart emsigem definitorischen Bemühen nicht ernstlich stört. Zumal die Debattanten die eigentlichen Hype-Auslöser dann doch in der – freilich selber definitionsbedürftigen – Schwarmintelligenz verorten.

Oder vielleicht so: Hype ist, wenn sogar die Intelligenz schwärmt? Tatsächlich funktioniert jene „tolle Übersprungshandlung“ (Seeßlen) am verlässlichsten nach Weltpremieren auf Großfestivals, wenn bereits im Foyer das allerdringlichste Durcheinanderreden beginnt. In jenem seligen Augenblick der Begeisterung, bevor die Kritiker gleich wieder wissen müssen, warum sie so begeistert waren. Jan Schulz-Ojala

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