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Die 50-jährige Olga Martynova ist die neue Trägerin des Ingeborg-Bachmann-Preises.

© Reuters

Bachmann-Preisträgerin 2012: "Wenn wir Glück haben, können wir davon leben"

Olga Martynova heißt die neue Preisträgerin des Ingeborg-Bachmann-Preises. Die 50-jährige Russin kam 1990 nach Berlin und blieb in Deutschland: ein Portrait über die Teilnehmerin, die den Wettbewerb in erster Linie "genossen" hat.

Es ist Sonntagabend, neun Uhr, und der Ingeborg-Bachmannpreis-Tross hat Klagenfurt nach vier langen, zumeist sehr sonnigen Wettbewerbstagen wieder verlassen. Olga Martynova aber muss noch bleiben. Als frischgebackene Bachmann-Preisträgerin hat sie neue Pflichten. Statt gleich nach Frankfurt am Main zurückzukehren, wo sie seit 1991 lebt, steht für sie am Montag Wien auf dem Programm, Termine bei Radio und Fernsehen. Entspannt wirkt Martynova, wie sie da ganz allein draußen im Café des Klagenfurter Moser-Verdino-Hotels sitzt und auf ihren Gesprächspartner wartet. So entspannt, wie sie auch vor dem Wettbewerb war: „Ich wollte hier immer einmal teilnehmen und das alles miterleben, selbst als ich noch gar nicht auf Deutsch geschrieben habe. Dieser Wettbewerb ist etwas Besonderes.“ Angst davor, von der Kritikerjury möglicherweise zerpflückt zu werden, habe sie überhaupt keine gehabt. Im Gegenteil, höchst gespannt sei sie darauf gewesen, „ich war wirklich neugierig, was die sagen“. Tatsächlich hat sie den ganzen Bachmann-Wettbewerb von Anfang an „intensiv“ genossen und jede Lesung und Diskussion aufmerksam verfolgt. Selbst jene von Cornelia Travnicek, der jungen Autorin, die vor ihr dran war. In der Maske des Fernsehstudios, wo sie auf ihren eigenen Auftritt vorbereitet wurde, bat Olga Martynova die Mitarbeiter, den Fernseher anzuschalten, um auch Travnicek nicht zu verpassen. 

Als sie dann ihren Text „Ich werde sagen: ,Hi‘“ gelesen hatte, war klar, dass sie in jedem Fall einen der Preise bekommen würde, nicht nur weil die Jury fast geschlossen positiv  bis überschwänglich reagierte. Ihre Geschichte hob sich weit ab von dem ihrer Mitbewerber: souverän im Umgang mit Stoff und Sprache, reich in der Auswahl der Themen und Motive, nicht zuletzt luftig und unterhaltsam. „Ich werde sagen: ,Hi‘“ ist der Auszug aus einem Roman, der nächstes Jahr im Droschl Verlag erscheinen und den Titel „Mörickes Schlüsselbein“ tragen soll. „Ein Roman voller Geschichten“, so Martynova. 

Von Haus aus jedoch ist Olga Martynova aber Lyrikerin. Mit der Lyrik begann es in Leningrad, wo sie nach ihrer Geburt 1962 im sibirischen Dudenka aufwuchs. Hier gründete sie zusammen mit ihrem Mann Oleg Jurjew und anderen die Dichtergruppe Kamera Chranenija (auf deutsch „Aufbewahrung“), die zugleich eine poetische Strömung, ein Verlag und bis heute ein Internetprojekt ist. „Wir hatten auch eine literarische Arbeit, die offiziell war, aber das waren Übersetzungen. Wenn wir Glück haben, so war damals unser Gedanke, können wir davon leben.“ Dann aber kamen Glasnost und Perestroika. Nach einer Lesereise Ende 1990 auf Einladung des Berliner Senats, ausgestattet mit einem dreimonatigen Visum, blieben Jurjew und Martinova ganz in Deutschland: „Da spielte eine Reihe von Zufällen eine Rolle“. Deutsch sprachen sie nicht, „,Hände hoch‘ konnten wir sagen, das kannten wir aus den Kriegsfilmen“, sagt Martynova lachend. 

Ende der neunziger Jahre begann sie schließlich, auch auf Deutsch zu schreiben, zunächst Kritiken und Essays für Zeitungen, wie unter anderem für den Tagesspiegel, und dann auch Prosa. 2010 erschien ihr erster Roman „Sogar Papageien überleben uns“, der es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte und für den „Aspekte“-Literaturpreis nominiert wurde. „Eines Tages dachte ich, dass ich einmal sehr gern ein Prosabuch schreiben wollte“, so Olga Martynova im Moser-Verdino-Café: „Und ich dachte auch, dass es das einzige bleiben würde. Meiner Ich-Erzählerin habe ich viele Elemente meiner russischen Herkunft geschenkt. Ich habe lange gedacht, Prosaschreiben sei langweilig, sie habe nicht so viele Möglichkeiten, auch technische. Doch es gefällt mir immer besser. Ich entdecke immer mehr Seiten an der Prosa. Trotzdem bin ich zuvorderst Lyrikerin, ist Lyrik nach wie vor die höchste Stufe der Literatur“. Martynova schreibt ihre Gedichte auf Russisch und fühlt sich inzwischen in beiden Sprachen gleich wohl, nicht nur technisch: „Ich schalte hin und her. Ich denke auch entweder auf Deutsch oder auf Russisch, und wenn ich mit einem Gedicht beschäftigt bin, denke ich russisch, und umgekehrt beim Kritiken- und Prosaschreiben deutsch.“  Trotzdem ist natürlich ihre Prosa beeinflusst von den literarischen Traditionen Russlands, hat sie zugleich was leicht Surreales wie Schelmisches, steckt sie voller Einfälle. „Ich war wirklich froh und glücklich, als die Jury Nikolai Gogol nannte und Danill Charms, das sind unter vielen anderen meine Einflüsse“, sagt sie noch und scheint sich dann doch sichtlich zu freuen, nun endlich allein und in Ruhe ein bisschen in die Klagenfurter Nacht blicken zu können.

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