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Kultur: Wer als Deutscher empfindet

Teo Oerbeck hätte den Auftrag zur Laudatio nicht annehmen dürfen. Er schätzt den Preisträger nämlich nicht.

Teo Oerbeck hätte den Auftrag zur Laudatio nicht annehmen dürfen. Er schätzt den Preisträger nämlich nicht. Die Preisverleihung wird zu einem Fiasko. "Gut machen kann man nur, von dessen Wert man überzeugt ist", weiß er hinterher. Günter de Bruyn formulierte in seinem Roman "Preisverleihung" von 1972 recht unverblümt seine Lebensmaxime. Im Oktober 1989 ließ sie ihn den "Nationalpreis der DDR" ablehnen, nicht ohne die Regierung der "Starre, Intoleranz und Dialogunfähigkeit" zu zeihen.

Gestern nun empfing der Schriftsteller gemeinsam mit Wolf Jobst Siedler den mit 100 000 Euro dotierten Nationalpreis. Ihn verleiht nicht, wie die an die höchste Auszeichnung der DDR anknüpfende Bezeichnung nahelegt, die Bundesregierung, sondern die Deutsche Nationalstiftung. Nichts könnte deutlicher zeigen, wie es um das Nationalgefühl in Deutschland seit 1945 bestellt ist.

Die Nationalstiftung, deren Gremien eine große Zahl verdienter Ex-Politiker angehört, darunter Altbundeskanzler Helmut Schmidt, ist sich dessen wohl bewusst. Sie lud die Prominenten, unter denen Bundespräsident Johannes Rau, jedoch keine Mitglieder der Bundesregierung oder des Senats zu sehen waren, daher nicht etwa in den Reichstag, sondern in die Französische Friedrichstadtkirche. Keine Flagge schmückt den Innenraum, der einst den Hugenotten Preußens diente, nur eine weiße Pappe mit stilisiertem Brandenburger Tor erhebt sich vor der gekrönten Kanzel. Die protestantischen Wurzeln des Nationalgefühls und deren Verbindung mit dem preußischen Staat, von Helmuth Plessner einst für die Verspätung der deutschen Nation verantwortlich gemacht, finden hier ihren Ausdruck.

Der Zukunft zugewandter klingen die Redner. Der Nationalpreis soll, so der Präsident der Nationalstiftung Richard Schröder, das "Zusammenwachsen der Deutschen in einem zusammenwachsenden Europa fördern". Beide 1926 geborenen Preisträger, sagt Altbundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Laudatio, "leben in der Geschichte" und bewahrten das Nationalgefühl vor dem Vergessen. Dem Reich und den verlorenen Landschaften im Osten habe sich Wolf Jobst Siedler als Feuilletonchef des Tagesspiegel, als Essayist und als einflussreicher Verleger immer wieder gewidmet. Und Günter de Bruyn verließ aus Verbundenheit mit seiner Heimat die DDR nicht, stets sei er sich treu geblieben.

Freiheit und Einheit seien für ihn immer eins gewesen, erwidert de Bruyn in der Dankesrede, die er auch für den in seiner Beweglichkeit eingeschränkten Siedler hielt. Nur wer als Deutscher empfinde, könne in Selbstachtung auch Verantwortung für die von Deutschen begangenen Verbrechen übernehmen. Er bedauere, dass nicht über ein Wiedervereinigungsdenkmal nachgedacht wird und wünsche sich den Wiederaufbau des Schlosses. Beide Preisträger stiften ein Viertel des Preisgeldes an das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf für Stipendien an osteuropäische Schriftsteller. Die Cellharmoniker spielten George Gershwins "Summertime" und verliehen der patriotischen Veranstaltung noch eine transatlantische Note.

Jörg Plath

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