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Kultur: Wer des Teufels ist

Sind die Passionsberichte der Evangelien antisemitisch? Im Streit um Mel Gibsons „Passion Christi“ dokumentiert sich die theologische Unkenntnis

„Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“– so rufen nach Matthäus 27,25 etliche Juden, die Jesus gerne am Kreuz hängen sehen wollte. Der Ruf klingt freilich blutrünstiger, als er gemeint ist. Denn er ist nichts weiter als eine juristische Formel, die etwas über die Haftung des Klägers besagt. Wer so etwas rief, wollte damit sagen: Wenn dieser Jesus zu Unrecht verurteilt wird, dann wollen wir seine Bestrafung selber erleiden. Der Satz drückt daher nicht mehr und nicht weniger aus als die feste Überzeugung, Jesus werde zu Recht bestraft. Und von Blut ist hier die Rede, weil es sich um die Todesstrafe handelt.

Nun haben aus christlicher Sicht, die der Evangelist teilt, die Juden, die das riefen, in der Tat zu Unrecht geurteilt. Wann und wie sie im Sinne ihres Ausrufs bestraft wurden, das sagt Jesus nach demselben Evangelium ganz genau: Alles in Israel an Gottes Gesandten unschuldig vergossene Blut wird mit der Zerstörung Jerusalems, die dann im Jahre 70 n.Chr. geschehen ist, gesühnt (Matthäus 23,34-38). Den Zusammenhang von Schuld und Gottesgericht in der Geschichte kennen auch wir. Aber mit der Zerstörung im Jahre 70 ist denn dann auch alles unrechte Blutvergießen ein für allemal gesühnt und abgegolten. Niemand hat das Recht, sich nach dem Jahre 70 in irgendeinem Sinne auf Matthäus 27,25 zu berufen. Im Sinne Jesu und des Evangelisten hat darüber hinaus kein Mensch das Recht, sich zum Rächer an Israel wegen Jesu Geschick aufzuwerfen. Daher muss man sagen, dass die Evangelien für den späteren Antijudaismus nicht verantwortlich sind.

Überdies sind – so der Konsens der neueren Forschung – alle Evangelien von Judenchristen geschrieben. Dass sich die Ablösung der Judenchristen von den nichtchristlichen Juden schmerzvoll und polemisch vollzog, wissen wir. Daran sind beide Seiten beteiligt. Und Jesus selbst hat den Widerstand gegen seine Person als ein in Israel bekanntes Phänomen dargestellt. Juden selbst hatten zur Deutung ihrer Geschichte die Meinung entwickelt, die Ablehnung und das grausame Geschick, das die meisten Propheten erleiden mussten, sei Ursache für mannigfache geschichtliche Katastrophen gewesen. Auch die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. wird von Juden selbst so gedeutet.

Im übrigen ist polemischer Umgang miteinander seit den Zeiten der großen Propheten in Israel ganz und gar üblich. Man erwartete eigentlich auch nichts anderes. Wenn Johannes der Täufer, Jesus selbst, Stephanus und viele Jünger alsbald den Märtyrertod erlitten, dann gab das Zorn und wütenden Hass von Judenchristen gegen nichtchristliche Juden. Niemand, der nicht Jude ist, darf freilich diese Empörung fortschreiben, niemand darf hier richten. Aber verstehen kann und darf man diese innerjüdischen Auseinandersetzungen durchaus.

Das Problem der späteren Heidenchristen liegt in einer unkontrollierten und gedankenlosen Übertragung von biblischen Sätzen auf die jeweilige Gegenwart. Die entscheidende Frage lautet oft: Darf man die Aussagen der gesamten Bibel, die gegen Juden gerichtet sind, als zu jeder Zeit gültiges Gotteswort direkt wiederholen und in die – hasserfüllte – Tat umsetzen? Als Beispiel sei Johannes 8,44 genannt: Jesus bezeichnet hier diejenigen, die ihn ermorden wollen, als „Kinder des Teufels“. Im Sinne der Bibel tut er das zu Recht, denn wenn irgendetwas teuflisch ist, dann das Ermorden unschuldiger Menschen. Im Hintergrund steht die Auffassung, dass Kain seinen Bruder Abel erschlug, weil Kain mit dem Teufel paktierte. Eine so grausame Tat ist nicht nur das Werk eines Einzelnen, sondern da bricht das Böse wie eine besitzergreifende Sucht in ihn hinein, heimtückisch und raffiniert, eben als der böse Teufel.

Eine angemessene Auslegung von Johannes 8,44 wird nun eben gerade nicht pauschal alle Juden aller Zeiten als Teufelskinder bezeichnen können. Sondern nur die wenigen führenden Gruppen, die Pilatus zum Mord drängten. Auch damals tat dieses nicht ganz Israel, sondern nur etliche Honorationen. Und es ist erst recht nicht das Israel aller Zeiten. Denn eines steht auch für das Evangelium nach Johannes fest: Verantwortlich am Tod Jesu ist allein Pilatus. Eine Auslegung, die den Text achtet, muss daher sagen: Jeder Mensch, der heimtückisch den Mord eines anderen betreibt, ist ein Kind des Teufels. Das trifft daher zum Beispiel auf diejenigen zu, die im Dritten Reich die Judenvernichtung betrieben haben. Der Antisemitismus von Heidenchristen, wie wir es in der Regel sind, betreibt daher eine unrechte Schriftanwendung, und zwar insbesondere deshalb, weil die wahren Motive in aller Regel andere waren und sind: nämlich vor allem Neid.

Der Autor ist Theologe an der Universität Heidelberg und lehrt Neues Testament.

Klaus Berger

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